Es war kurz vor
Mitternacht. Marina war es ausnahmsweise erlaubt, in einem
Jungenzimmer zu übernachten, da sie sonst ganz alleine im
Mädchentrakt gewesen wäre. Jojo hingegen bezog Robins Nachbarbett,
weil Marin nach wie vor auf der Krankenstation war. Es wurde
versucht, seinen Finger wieder anzunähen, aber man konnte noch nicht
sagen, ob die Operation gelungen war.
Herr Doktor Hollenbach
verlangte, dass sein Sohn nach den Feiertagen direkt in ein
Spezialkrankenhaus eingeliefert werden sollte. Gegebenenfalls wollte
er selbst bei dem Eingriff dabei sein.
Marina schlich sich
heimlich in Robins Zimmer. Zu dritt klügelten sie einen Plan aus.
Sie wollten heute Nacht auf die Suche nach dem Übeltäter gehen.
Jojo steckte seinen Kopf
aus dem Fenster. Als er ihn wieder reingeholt hatte sagte er:
„Da
unten stehen tatsächlich zwei Wachen von der E-Wehr vor der Tür.“
„Das
heißt“, entgegnete Marina, „dass wir nicht so einfach hier
herumschnüffeln können.“
„Aber
demzufolge kann der Fiesling hier auch nicht herumspuken“, ergänzte
Robin.
„Außer
er ist in diesem Gebäude hier“, warf die Wasser-Elementaristin
ein.
„Dann
lasst uns hier anfangen“, schlug das Elementum vor.
Seine beiden Freunde
nickten zustimmend. Und so schlichen sie wenige Minuten später durch
die Flure. Da das Gelände wie leergefegt war, weil die Schüler
zuhause bei ihren Familien waren, konnte ihr Feind in jedem Raum
Unterschlupf gefunden haben. Vielleicht war er ja sogar ein Schüler
und hatte sein eigenes Zimmer, sodass er gar keines heimlich beziehen
musste. Das wussten die drei Jugendlichen nicht.
An jeder Zimmertür
lauschten sie und hofften, dass sie irgendwelche Geräusche
wahrnahmen. Doch sie hörten absolut nichts. Es dauerte eine ganze
Weile, bis sie das ganze Gebäude durchhatten.
„Wahrscheinlich
befindet er sich doch in einem anderen Gebäude“, meinte Marina.
„Es
wäre zu leicht gewesen“, fügte Robin hinzu.
„Aber
was tun wir jetzt? Wir kommen nicht so einfach an den Wachen vorbei“,
sprach Jojo zuletzt.
So schwiegen die drei
Schüler einige Momente. Alle überlegten, was sie als nächstes tun
sollten.
Irgendwann sagte Robin:
„Vielleicht
machen die Wachen ja mal eine Pause.“
Er ging ans Fenster und
vergewisserte sich, ob die beiden Männer von der E-Wehr noch da
waren. Und tatsächlich standen sie nach wie vor an der Eingangstür
zum Jungentrakt.
Der Sechzehnjährige ließ
seinen Blick über den ganzen Innenhof wandern. Er schaute
anschließend zum Himmel und sah, dass der Vollmond durch die
Wolkendecke schimmerte. Als er seinen Blick wieder senkte, sah er
eine dunkle Gestalt in einem Mädchenzimmer, die direkt zu ihm
rübersah.
„Schnell!“,
rief er. „Kommt her! Schaut mal da rüber ins Fenster!“
Jojo und Marina eilten
zum Fenster und folgten Robins Blick. Tatsächlich sahen sie die
Gestalt ebenfalls für einen Moment, bis sie sich vom Fenster
entfernte.
„Da
ist jemand“, bestätigte Marina. „Im Mädchentrakt.“
„Was
machen wir nun?“, wollte Robin wissen.
„Wir
sagen es den Wachmännern“, schlug das Mädchen vor. „Wenn sie
ihn schnappen können, müssen wir nichts mehr tun.“
Gesagt, getan. Schnell
rannten sie die Treppen hinunter. Die Wachmänner hätten sie beinahe
attackiert, weil sie dachten, dass von ihnen eine Gefahr ausginge.
Doch dann erkannten sie die Schüler. Aufgebracht erklärten sie, was
sie gesehen hatten. Doch die Wachen waren nicht überzeugt:
„Vielleicht
war es nur ein Schatten“, sagte der eine.
„Aber
wir schauen trotzdem nach“, sagte der andere.
Beide gingen rüber zur
Eingangstür des Mädchentrakts, wo zwei weitere Kollegen standen. Zu
viert gingen sie dann vorsichtig ins Gebäude. Die drei Jugendlichen
warteten aufgeregt am Türrahmen.
„Hoffentlich
schnappen sie ihn“, äußerte Marina mit einer leicht zittrigen
Stimme. Man spürte, dass sie ein wenig Angst hatte.
Es vergingen einige
Minuten, aber nichts passierte. Sie hörten nichts und blickten wie
gebannt auf das gegenüberliegende Gebäude. Die beiden Männer vor
dem Verwaltungsgebäude kamen schließlich auf die Schüler zu und
wollten wissen, was ihre Kollegen machten. Marina erklärte ihnen
alles und als sie dies vernahmen, folgten sie den anderen Männern
und gingen ebenfalls in den Mädchentrakt.
Nun war kein einziger
Wachmann mehr auf dem Hof, was den Jugendlichen Sorge bereitete.
„Stehen
eigentlich noch zwei Männer vor dem Haupttor?“, wollte Jojo
wissen.
„Ich
glaube nicht“, antwortete Robin. „Es reicht ja eigentlich, wenn
sie vor den Eingangstüren zu den einzelnen Gebäuden postitioniert
sind.“
„Dann
sind alle Wachmänner da drinnen“, stellte Marina fest. „Wenn sie
nun in eine Falle gelaufen sind...“ Sie wagte es nicht, ihre
Befürchtungen zuende zu führen.
In diesem Augenblick flog
die Tür des Mädchentrakts auf und eine dunkle Gestalt kam
herausgerannt. Marina kreischte los und sofort hielt ihr Robin den
Mund zu. Er wollte nicht, dass die Aufmerksamkeit der Gestalt auf sie
gerichtet wurde.
Der völlig in Schwarz
gekleidete Kerl rannte in Richtung Haupttor. Er schob es auf und
rannte davon.
„Das
war er“, rief Robin schließlich. „Was machen wir nun?“
„Wir
müssen ihm hinterher“, sagte Marina schließlich.
„Wirklich?“,
hakte Robin nach. Er konnte es nicht fassen, dass er diesen Vorschlag
ausgerechnet von der schlausten Schülerin des Internats hörte. Er
hätte eher erwartet, dass sie vorschlug, die Lehrer zu alarmieren.
„Kommt!“,
forderte sie die Jungs auf und rannte los. „Wenn wir noch länger
warten, entkommt er uns. Wir dürfen diese Chance nicht verpassen.“
Und schon jagten die drei
Schüler dem Unbekannten hinterher.
Auf der Straße sahen sie
gerade noch, wie eine dunkle Gestalt um die Ecke bog. Mit schnellen
Schritten rannten sie ihr nach.
Die Verfolgungsjagd
dauerte einige Minuten. Jojo war zwar ein muskulöser Riese, aber
deshalb auch ziemlich schwer, sodass er mit Robin und Marina nicht
mithalten konnte. Auch Marina blieb irgendwann etwas zurück, sodass
Robin allein vorpreschte. Irgendwann erreichten sie den Main.
„Das
musste ja so kommen“, stellte der Sechzehnjährige fest. Am Fluss
fühlte sich der Unbekannte am wohlsten, denn da waren sie an seinem
Element. Die schwarze Gestalt blieb am Ufer stehen und es sah so aus,
als ob er auf Robin wartete.
Ist das eine Falle?,
fragte sich der Junge selbst.
Er ging näher auf ihn zu
und machte sich kampfbereit. Als er dem Angreifer näher kam, sah er,
dass er er komplett maskiert war und nur seine Augen durch eine
schwarze Skimütze zu sehen waren.
In diesem Moment hob der
Vermummte seine Hände und eine riesige Welle erhob sich hinter ihm
vom Main. Mit einem Hieb flogen die Wassermassen auf das Elementum
zu. Auch Robin hob seine Hände und lenkte das Wasser um, sodass es
auf dem Boden neben ihm landete.
„Was
soll das?“, klagte der Sechzehnjährige den Fiesling lautstark an.
Da antwortete dieser sogar und das Elementum hörte zum ersten Mal
seine Stimme:
„Heute
Nacht werde ich dir endlich den Gar ausmachen, Elementum!“
Diese Drohung klang ernst
gemeint. Die Stimme des Angreifers war rauh und gewalttätig.
„Warum
hast du mich nicht schon erledigt, als du letzte Nacht in meinem
Zimmer warst und meinen Bettnachbarn entführt hast?“
„Das
wollte ich ja, aber du warst nicht in deinem Bett. Sonst würdest du
jetzt schon nicht mehr leben.“
„Wie
bitte?“ Robin traute seinen Ohren nicht. „Ich lag doch im Bett.
Du hast mir doch extra KO-Tropfen gegeben, damit ich selig schlief,
während du dich in meinem Zimmer austobst.“
„Pah“,
entgegnete der Feind. „Das klingt zwar nach einer super Idee, aber
so war es leider nicht. Ich habe dir nichts verabreicht. Ich bin nur
in dein Zimmer eingedrungen. Leider warst du nicht da, also musste
ich mir schnell einen Plan B überlegen. Daher habe ich diesen
anderen Typen entführt.“
Das Elementum war völlig
irritiert. Er konnte gar nicht glauben, was er da hörte. Seiner
Ansicht nach war es vollkommen gelogen.
Da tauchte Marina endlich
neben Robin auf.
„Das
wirst du büßen“, drohte sie. Sie hob nun ihre Arme und beschwor
ebenfalls das Wasser hinter dem Bösewicht. Dieser drehte sich um, um
das Wasser von ihm abzulenken. Doch da hatte er die Rechnung ohne die
kluge Elementaristin gemacht. Sie erzeugte einen Wasserwirbel, der
den Kerl ins Innere zog. Er wurde durch die Luft gewirbelt und ins
Wasser gezogen. Marina dachte schon, sie hätte ihn, als sich das
Wasser wieder beruhigte und der Kerl sanft auf dem Boden landete.
Dann verwandelte sich das Wasser um ihn herum in Pfeilspeere aus Eis.
Die beiden Schüler schreckten verängstigt zurück. In diesem
Augenblick flogen die spitzen Eisstäbe auf sie zu.
Robin reagierte
blitzschnell mit seinen Feuerkräften und sorgte dafür, dass die
Speere wieder schmolzen und zu Wasser wurden. Das Wasser lenkte er
sodann wieder in den Main um.
„Jetzt
reicht es mir“, rief der fiese Typ in Schwarz. Er beschwor erneut
eine riesige Welle, doch diesmal stand er auf ihr. Er surfte auf ihr,
nur ohne Surfbrett, was die beiden anderen Elementaristen erstaunte.
Dann flog die Welle auf sie zu und vergrub die Jugendlichen unter
sich.
Mit aller Kraft schützten
sich Marina und Robin vor dem Wasser und bildeten eine Schutzblase um
sich herum.
„Das
lassen wir nicht zu“, rief das Elementum mit voller Überzeugung.
„Genau“,
bestätigte die Wasser-Elementaristin.
Beide schlossen die Augen
und setzten alle ihre Kräfte ein. Mit einem Schwung stießen sie den
Bösewicht von der Welle. Mit einem harten Schlag krachte er auf den
Boden.
Da kam auch schon Jojo
angerannt. Der muskulöse Junge reagierte blitzschnell und warf sich
auf den Typen. Er drückte ihn zu Boden, sodass er sich nicht bewegen
konnte. Robin kam hinzu und unterstützte seinen Kumpel. Er riss ihm
die Mütze vom Kopf und zum ersten Mal sahen sie sein Gesicht.
Es war ein Unbekannter
und kein Schüler vom Haus 4E. Sie hatten diesen Mann noch nie
gesehen. Er musste um die Ende zwanzig sein. Er hatte braunes, kurzes
Haar, ein markantes Gesicht mit spitzem Kinn. Seine Wangen waren
eingefallen und seine Augen ziemlich schmal. Außerdem hatte er
leichte Segelohren.
„Lasst
mich los“, schrie er wütend.
„Jetzt
haben wir dich!“, entgegnete Robin überheblich.
Doch da fing der Kerl zu
grinsen an. Und mit einem Schlag wurden Jojo und das Elementum von
Wasserstrahlen weggeschleudert. Der Fiesling sprang auf und sprach:
„Nur
weil ich meine Hände nicht frei habe, heißt das nicht, dass ich das
Element nicht beschwören kann, ihr Anfänger.“
Doch da wurde er von
einem Feuerball von hinten getroffen.
Robin und Jojo erhoben
sich vom Boden und sahen in die Richtung, aus der der Feuerball kam.
Da stand Iggy. Und ein paar Meter von ihnen entfernt war ebenfalls
Aria.
„Wie
kommt ihr denn hierher?“, fragte Jojo überrascht.
„Ich
habe sie gestern schon informiert und gebeten, zur Schule zu kommen“,
erklärte Marina. „Wir brauchen den ganzen Zirkel, um ihn fertig zu
machen.“
Jojo und Robin nickten
gleichtzeitig.
„Nun
lasst uns schnell einen Kreis um ihn bilden“, forderte die
Wasser-Elementaristen auf.
Die anderen Vier
befolgten sofort ihre Anweisungen und stellten sich um den Angreifer.
„Wir
werden jetzt einen elementaren Käfig beschwören“, sprach Marina
laut aus. „Ruft eure Elemente herbei und lasst sie sich direkt über
den Kerl verbinden.“
„Feuer!“,
rief Iggy.
„Luft!“,
rief Aria.
„Erde!“,
rief Jojo.
„Wasser!“,
rief Marina.
Robin wusste nicht, was
er zu tun hatte und blieb daher zunächst stumm. Die Elemente
verbanden sich direkt über den Kopf des Unbekannten, der sich gerade
langsam wieder aufrichtete.
„Robin,
jetzt musst du dafür sorgen, dass ein Käfig gebildet wird. Lass
sich die Elemente wie bei einem Gitter miteinander verbinden.“
Das Elementum wusste
nicht genau, was Marina von ihm wollte. Aber er stellte sich ein
Gitternetz vor und so verband er die vier Elemente miteinander.
Schließlich entstand eine Kuppel aus den Kräften der Elemente, die
den Bösewicht einschlossen.
Er versuchte seine
Wasserfähigkeiten einzusetzen, um aus dem Käfig zu entkommen, doch
seine Kräfte prallten einfach am Gitter ab.
„Was
soll das?“, schrie er. „Lasst mich raus!“
Zufrieden schauten sich
die Elementaristen an.
„Wir
haben ihn!“, freute sich Marina. „Nun wirst du ins Gefängnis
kommen.“
Die fünf Jugendlichen
stabilisierten den Käfig, bis sie ihn loslassen konnten.
„Wir
haben es geschafft“, rief Robin endlich erleichtert.
„Wir
müssen Rektor Quinn alarmieren“, schlug Jojo vor, der auch sodann
sein Handy zückte. Da trat Marina auf den Kerl in Schwarz zu.
„Du
wirst es bereuen, was du meinem Bruder angetan hast.“ Sie erhob
ihre Hand und erzeugte eine Kugel aus klarem Wasser. Dieser gefror zu
Eis und sie schleuderte ihn auf den Unbekannten. Als sie gegen seinen
Kopf flog, fiel er KO zu Boden.
Damit verschwand auch der
elementare Käfig.
„Super“,
lobte Robin und umarmte seine Freundin. Beide schauten sich tief in
die Augen. In diesem Augenblick erschien wieder eine Welle am Fluss.
Beide schauten direkt zu ihr und erschraken. Sie dachten sofort, dass
sie wieder angegriffen wurden.
Doch da bildete sich eine
Gestalt aus dem Wasser. Es war eine Frau, die von Kopf bis Fuß aus
klarem Wasser bestand.
„Was
ist das?“, rief Aria hinter ihnen. „Das ist unglaublich.“
Die Frauengestalt aus
Wasser wirbelte auf Robin und Marina zu. Sie konnten gar nicht
reagieren, so schnell waren sie in ihr eingehüllt. Plötzlich glühte
etwas auf ihrer Brust. Sofort hielten sie sich ihre Hand darauf. Sie
spürten eine ungeheure Kraft in sich. Das ganze dauerte nur wenige
Sekunden, dann war die Frau aus Wasser auch schon wieder fort. Der
Main beruhigte sich und die beiden Jugendlichen standen wieder im
Trockenen.
„Was
war das?“, wollte Marina wissen.
„Ich
weiß es nicht“, antwortete Robin.
Doch beide spürten etwas
auf ihrer Brust. Sie öffneten ihre Jacken und zogen ihr Shirt ein
wenig herunter. Dann sahen sie, dass sich bei beiden ein leuchtendes
Symbol auf der Brust gebildet hatte. Es war ein Dreieck, dessen
Spitze nach unten zeigte.
Verwundert blickten sie
sich in die Augen. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Es war
unglaublich.
„Oh
nein!“, schrie Aria plötzlich.
Die jungen Elementaristen
sahen sie an und erschraken ebenfalls. Der fiese Kerl war
verschwunden. Er war wohl wieder aufgewacht und hatte sich heimlich
vom Acker gemacht.
„So
ein Mist“, fluchte Iggy wütend. „Wir hätten besser aufpassen
müssen.“
Doch nun war es zu spät.
Der Unbekannte konnte entkommen und die Jugendlichen mussten alleine
ins Haus 4E zurückkehren.