[Elementum 2] Stille Wasser - Kapitel 20

Nicht mehr lange und die Weihnachtsferien standen vor der Tür. Alle Schülerinnen und Schüler des Hauses 4E durften zu dieser Zeit selbstverständlich zu ihren Familien, um dort die Feiertage zu verbringen. Doch bei Robin war es dieses Jahr etwas anders, denn er schwebte in Gefahr. Darüber machte sich Rektor Quinn natürlich Gedanken und er überlegte angestrengt, was er den Eltern des Teenagers sagen könnte, damit sie ihn im Internat ließen und nicht misstrauisch wurden.
Robins Eltern wussten nämlich nichts von seinen Fähigkeiten. Sie hatten ihn als Säugling adoptiert und daher wuchs er nicht bei seinen leiblichen Eltern auf, die sicherlich wohl Elementaristen waren. Als Robin die Einladung vom Haus 4E bekam, um dort unterrichtet zu werden, teilte man seinen Eltern mit, es handelte sich um ein Internat, das besonders sportliche Schüler förderte. Ihr Sohn bekam hierfür ein Stipendium und darüber freuten sie sich sehr, sodass sie ihr Kind ohne weitere Nachfragen ziehen ließen.
Doch eigentlich gab es keinen Grund, warum Robin nicht in den Ferien nach Hause kommen sollte. Schließlich durften sie nicht wissen, in welcher Gefahr ihr Sohn steckte. Daher musste eine Notlüge her.

Quinn hob den Hörer ab und wählte die Telefonummer der Familie Held. Eine weibliche Stimme nahm nach einigem Klingeln ab:
Held?“
Schönen guten Tag, hier ist Rektor Quinn aus dem Haus 4E.“
Guten Tag, Herr Quinn. Ist etwas passiert?“ Frau Held klang ein wenig erschrocken, doch der Schulleiter konnte sie schnell beruhigen:
Nein, nein, keine Sorge. Ich möchte nur eine Sache mit Ihnen besprechen, was die Weihnachtsferien angeht.“
Ach so“, antwortete Robins Mutter nun erleichterter. „Worum geht es?“
Robin ist ein sehr talentierter junger Mann und deshalb wurde er für die Vorauswahlen der Olympischen Winterspiele ausgewählt. In den Ferien soll er daher in ein spezielles Camp fahren.“
Tatsächlich?“, hakte sie nach. „Eigentlich wollten wir gemeinsam in den Ski-Urlaub. Darauf freuen wir uns das ganze Jahr über.“
Das verstehe ich natürlich“, entgegnete Herr Quinn. „Allerdings ist dies eine einmalige Chance für Ihren Sohn. Und es ist außerdem eine große Ehre.“
In Ordnung. Ich werde mit meinem Mann darüber sprechen und mich später bei Ihnen melden.“
Vielen Dank!“
Damit legte er auf. Der weißhaarige Schulleiter hoffte, dass Herr und Frau Held diese Geschichte schluckten. Wenn sie es nicht erlaubten, musste er sich etwas Neues einfallen lassen.

Robin lag auf seinem Bett und hörte ein bisschen Musik, als eine Nachricht auf seinem Handy eintraf. Als er sie laß, war er sehr überrascht. Sie war von seinem Vater und darin stand:

Was für eine großartige Chance, mein Sohn. Ich bin so stolz auf dich. Mach deiner Familie alle Ehre und gib dein Bestes.

Er hatte keinen blassen Schimmer, wovon sein Vater sprach. Daher antwortete er mit:

???

Es dauerte keine zwei Minuten, als er wieder eine Antwort erhielt:

Dein Rektor hat bei uns angerufen. Er hat uns erzählt, dass du vielleicht an den Olympischen Spielen teilnehmen darfst.

Ungläubig laß der Sechzehnjährige diese Nachricht ein paar Mal durch. Was hatte ihnen sein Schulleiter da erzählt?
Sofort sprang er von seinem Bett auf und rannte aus dem Zimmer. Er flog beinahe die Treppen hinunter und lief über den Hof zum Verwaltungsgebäude. Als er vor Rektor Quinns Bürotür stand, klopfte er ungeduldig an.
Ja bitte?“, kam es von innen.
Robin stürmte ins Zimmer. Aufgebracht fragte er:
Was haben Sie meinen Eltern erzählt?“
Oh, du weißt es also schon“, stellte Quinn ruhig fest.
Ich nehme an den Olympischen Spielen teil?“
Nein, natürlich nicht“, erklärte der ältere Herr weiter. „Das ist nur ein Vorwand, damit Sie in den Ferien hier im Internat bleiben können. Sie stecken in Gefahr und wir müssen hier auf Sie Acht geben.“
Aber in den Ferien habe ich Geburstag. Ich wollte diesen Tag mit meinen Freunden und meiner Familie bei mir zuhause verbringen.“
Das tut mir sehr leid, Herr Held, aber Ihre Sicherheit hat Priorität.“
Ich kann sehr gut alleine auf mich aufpassen“, verteidigte er sich. „Ich bin ein Elementum.“
Ein Elementum, das seine Fähigkeiten allerdings noch nicht vollständig beherrschen kann“, vervollständigte Quinn.
Das können Sie mir nicht antun“, flehte der junge Mann.
Es bleibt mir leider nichts anderes übrig, so leid es mir tut. Aber ich möchte kein Risiko eingehen. Es ist zu Ihrem Besten, glauben Sie mir das.“
Damit war die Diskussion beendet und Robin verließ das Büro mit heruntergezogenen Schultern. Er war so enttäuscht und zum ersten Mal ärgerte er sich darüber, dass ausgerechnet er ein Elementum war. Sehr gerne wäre er ein gewöhnlicher Elementarist. Dann dürfte er trotzdem diese wunderbare Schule besuchen, aber niemand hätte es auf ihn abgesehen und er könnte in den Ferien nach Hause fahren.
So musste er die Zeit nun alleine im Haus 4E verbringen. Alle anderen Schüler würden wohl nach Hause fahren und dann wäre das Gelände menschenleer.
Er stellte sich vor, wie er ganz allein Weihnachten und seinen Geburtstag in seinem Zimmer verbringen würde. Seine Stimmung war im Keller.
Als er so geknickt durch die Flure des Gebäudes der Jungenzimmer ging, traf er zufällig auf Jojo, der ihn sofort fragte, was los wäre.
Ich muss über die Ferien hier bleiben und darf nicht nach Hause.“
Was?“, fragte der Erd-Elementarist erstaunt nach.
Es ist zu gefährlich, da mir ja jemand anscheinend an den Kragen will. Daher muss ich hierbleiben.“
Das ist echt blöd“, kommentierte Jojo aufrichtig. „Ich habe aber eine Idee. Ich bleibe auch hier mit dir.“
Robin schaut seinem Kumpel erstaunt in die Augen.
Meinst du das ernst?“
Natürlich. Ganz alleine ist es hier doch viel zu öde. Ich lasse doch meine Freunde nicht im Stich.“
Damit hatte das Elementum nicht gerechnet. Voller Freude warf er sich seinem Kumpel um den Hals.
Danke! Danke! Danke! Danke!“, rief er.
Hey, du erdrückst mich.“
Das war natürlich nur als Scherz gemeint, denn den muskulösen Jugendlichen konnte so schnell nichts umwerfen.
Robin war mehr als erleichtert. Mit Jojo würde es ihm nicht ganz so langeweilig werden und er konnte seinen Geburtstag zumindest ein wenig feiern.
Ich bleibe auch hier bei dir“, kam es plötzlich von hinten. Robin drehte sich um und in diesem Moment war seine Stimmung auch schon wieder hinüber. Es war Marin.
Du?“
Ja, ich bleibe auch hier bei dir im Internat. Ich bin schließlich dein Leibwächter und muss auf dich aufpassen. Übrigens sag mir das nächste Mal Bescheid, wenn du das Zimmer verlässt, damit ich dich begleite.“
Der Sechzehnjährige wusste gar nicht, was er dazu sagen sollte. Er war sprachlos. Nun hätte er auch noch Marinas Bruder am Hals. Darauf hatte er gar keine Lust. Nach einigen Momenten fing er sich wieder und sagte schließlich:
Willst du mich auch jetzt immer auf die Toilette begleiten?“ Seine Stimme klang herausfordernd. Doch Marin blieb gelassen und antwortete:
Zumindest werde ich mich vor der Tür postieren.“
Jojo schlug sich die Hand auf die Stirn und Robin schüttelte verständnislos seinen Kopf.
Was machen sie bloß hier mit mir?