[Elementum 2] Stille Wasser - Kapitel 17

Am Donnerstag kündigte Frau Bottenberg etwas für ihre Erd-Elementaristen an: Am Wochenende würden sie einen Campingausflug machen.
Wir haben Winter“, meckerte einer.
Es ist viel zu kalt“, unterstützte der nächste.
Oh nein!“, jammerte ein Dritter.
Warum tun wir das?“, wollte jemand wissen.
Doch die Lehrerin blieb ruhig und erklärte:
Es ist wichtig, dass ihr der Erde nahe seid. Und das nicht nur im Sommer! Gerade wenn die Erde leicht gefroren ist, ist es schwer, sie zu kontrollieren. Auf diesem Ausflug werdet ihr die erste Lektion lernen, mit kalter Erde umzugehen.“
Jojo war von dieser Idee auch nicht gerade begeistert, aber er erkannte den Zweck dahinter und daher packte er seine Tasche. Zelte und Schlafsäcke würde die Schule zur Verfügung stellen, aber da er ja so groß und breit war, nahm er lieber mal eine zusätzliche Decke mit.
Als sich alle Erd-Elementaristen am Freitag nach dem Unterricht auf dem Hof versammelten, kam auch plötzlich Robin mit einer gepackten Tasche hinzu.
Was machst du denn hier?“, fragte Jojo verwundert.
Frau Bottenberg bat mich mitzukommen. Schließlich sei dies auch eine perfekte Lektion für mich als Elementum. So bin ich auch da.“
Wie cool!“, freute sich der Erd-Elementarist. „Du bist mit mir im Zelt. Falls es zu kalt werden sollte, heizt du uns mit deiner Feuerkraft ein.“
Robin hob den Daumen zur Bestätigung.

Dann fuhr auch schon ein Bus vor, der speziell geordert worden war. Mit ihm fuhren sie an den Rand eines Waldes. Den Rest des Weges mussten sie laufen. Jeder packte sein Zeug und marschierte los. Zum Glück hatten Robin und Jojo eine dicke Winterjacke an, denn der Wind blies ziemlich heftig. Zum Glück regnete es nicht, sonst wäre es noch kälter gewesen.
Nach etwa einer Stunde Fußmarsch kamen sie an einen Weiher, der schon halb zugefroren war.
Hier werden wir unsere Zelte aufschlagen“, erklärte Frau Bottenberg.
Widerwillig machten sich die Schülerinnen und Schüler an die Arbeit, ihre Zelte aufzustellen. Das war nicht so einfach, denn es war ziemlich dunkel. Sie mussten die Taschenlampen ihrer Smartphones zu Hilfe nehmen, um überhaupt etwas zu sehen.
Beim Aufbauen hatten die beiden Freunde Zeit, ein bisschen miteinander zu reden:
Es tut mir leid“, entschuldigte sich der Sechzehnjährige, „wie ich mich neulich benommen habe. Ich war ein wenig eifersüchtig auf Iggy und dich.“
Das habe ich gemerkt“, bestätigte der Muskelprotz.
Aber mir geht es echt gerade nicht so gut. Nun sprechen Marina und Iggy beide nicht mit mir. Das ist die Hölle.“
Das kann ich mir denken. In die eine bist du verliebt und der andere ist eigentlich dein bester Freund.“
Iggy hat sogar ein neues Zimmer beantragt. Was soll ich nur tun?“
Da kann ich dir leider auch nicht wirklich helfen. Ich könnte höchstens mal mit ihm sprechen.“
Würdest du das wirklich?“, hakte Robin hoffnungsvoll nach.
Versprechen kann ich dir nichts, aber ich kann es probieren.“
Das wäre supernett von dir.“

Als alles einigermaßen stand, wurde es Zeit ein kleines Lagerfeuer zu machen. Da das Holz aber sehr feucht war, nahm Frau Bottenberg Robins Hilfe dankbar in Anspruch. So sorgte das junge Elementum für ein wenig Wärme.
Und wann beginnt die Lektion?“, wollte einer der Schüler wissen. Es war ja nämlich schon Abend und irgendwann wollten sie schlafen.
Die Nacht hier wird eure Lektion sein. Wir werden keine besondere Übung machen. Ihr werdet nur merken, dass es sehr kalt sein wird und ihr müsst irgendetwas tun, um die Erde etwas zu erwärmen.“
Alle schauten sich gegenseitig erstaunt an. Robin grinste bei diesen Erklärungen, was der Lehrerin natürlich auffiel. Daher sagte sie noch weiter:
Und Herr Held, Sie würde ich darum bitten, ihre anderen elementaren Fähigkeiten heute Nacht nicht einzusetzen. Sonst ergibt dieser Ausflug für Sie keinen Sinn.“
Schon verging ihm das Grinsen und er nickte seufzend. Damit musste er wohl darauf verzichten, das Zelt mit seinem Feuer einzuheizen.

Schließlich war es Zeit, in den Schlafsack zu gehen. Die Nacht brach an. Alle schlotterten vor Kälte und taten ihren Unmut freien Lauf.
Am äußersten Rand des Lagers hatten Robin und Jojo ihr Zelt aufgeschlagen. Es war am nächsten zum Weiher und am weitesten entfernt von der Lehrerin. Daher hatte der Sechzehnjährige eine Idee:
Ich könnte das Zelt trotzdem ein wenig aufheizen. Frau Bottenberg würde das gar nicht merken.“
Doch Jojo war zu gewissenhaft in dieser Hinsicht:
Das sollten wir lieber bleiben lassen. Ich möchte tatsächlich etwas lernen, was für dich auch wichtig sein sollte. Du bist beim Praxisschwerpunkt nie dabei und daher liegst du beim Element Erde immer weiter zurück als die anderen.“
Du hast ja recht“, bestätigte das Elementum seufzend. „Aber es ist so bitterkalt.“
Das Zelt wird sich schon allein durch unsere Körperwärme ein wenig aufheizen. Zudem sind die Schlafsäcke echt gut isoliert.“

Nach einer Weile war Robin tatsächlich eingeschlafen. Doch Jojo kriegte kein Auge zu. Ihm war der Boden zu hart und alles doch ein bisschen zu kalt. Er passte kaum in den Schlafsack und sein halber Oberkörper lag außerhalb. Zwar hatte er seine Decke übergeworfen, aber er fror trotzdem.
Irgendwann konnte er nicht mehr. Er legte seine Hand auf den steinharten Erdboden. Trotz der dünnen Zeltschicht konnte er die Erde darunter spüren. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Da fing die Erde unter ihm leicht zu vibrieren an. Irgendwie wurde sie dadurch lockerer und war nicht mehr so hart. Es fühlte sich ein wenig an, als würde er nun auf einem Sandhaufen liegen. Viel weicher. Das half ihm ein wenig.
Plötzlich hörte er ein Rascheln.
Das muss der Wind sein, dachte er sich.
Dann war da ein Stampfen. Robin schreckte auf:
Was ist das?“, schnaufte er.
Keine Ahnung“, antwortete Jojo.
Und dann gab es ein lautes Spritzgeräusch, als ob jemand ins Wasser gesprungen wäre.
Ist da etwa jemand schwimmen gegangen?“, fragte Robin verwundert.
Derjenige muss ja ganz schön wahnsinnig sein“, entgegnete der muskulöse Elementarist.
Lass uns nachsehen!“
Sie zogen den Reißverschluss des Zeltes herunter und traten in die Nacht hinaus. Es war stockfinster, da der Mond von den Wolken verdeckt wurde. Scheinbar schliefen alle um sie herum und hatten die Geräusche nicht wahrgenommen.
Die beiden Jungs holten ihr Smartphone hervor und schalteten die Taschenlampen ein. Die Zelte waren alle unberührt. Dann leuchteten sie auf den Weiher und tatsächlich war keine Eisschicht mehr auf ihm zu sehen.
Das Eis ist weg“, stellte Robin fest. „Dabei ist es doch jetzt am kühlsten.“
Die beiden schauten sich misstrauisch an. Irgendetwas stimmte nicht. Und da erschien plötzlich ein riesiger Wasserstrudel vor ihnen.
Was ist das?“, schrie Robin los. Und damit weckten sie ihre Schulkameraden, die an den Zelten herumfingerten. Doch irgendwie konnten sie die Reißverschlüsse nicht öffnen.
Hey!“, schrie es von allen Seiten.
Ich kriege den Reißverschluss nicht auf.“
Was ist hier los?“
Hä?“, wunderte sich der Erd-Elementarist.
Da stürzte der Wasserschwall auf sie. Mit einem Satz sprangen sie zur Seite und ihr eigenes Zelt wurde weggespült.
Was geht hier vor?“, rief plötzlich Frau Bottenberg aus ihrem Zelt. „Soll das ein Streich sein? Holt mich hier sofort heraus!“
Jojo landete neben einem anderen Zelt und da sah er das Dilemma: Jemand hatte die Reißverschlüsse eingeleimt. Sie waren völlig verklebt.
Als der Wasserstrudel abgelaufen war, erblickten die beiden Jungs eine dunkle Gestalt, die scheinbar auf dem Wasser des Weihers stand. Sie war völlig vermummt und daher konnten sie nicht erkennen, wer es war. Doch Robin war sich ganz sicher:
Du schon wieder!“, rief er.
Weißt du, wer das ist?“, wollte Jojo wissen, der nun mittlerweile wieder neben seinem Freund stand.
Dieser Kerl hatte mich in Berlin angegriffen. Und wahrscheinlich war er es auch, der am Eisernen Steg auf Aria und mich losgegangen war.“
In diesem Moment baute sich eine riesige Welle hinter dem vermummten Kerl auf.
Ach du meine Güte“, schrie Jojo. „Schnell weg!“
Mit langen Schritten rannten die beiden davon. Die Welle strömte ihnen hinterher. Zum Glück reagierten sie blitzschnell. Sie rannten in den Wald, um die Welle weg von ihren Mitschülern zu lotsen. Wenn sie auf die Zelte eingeprasselt wäre, wäre vielleicht jemand ertrunken.
Da es stockfinster war, wussten sie nicht, wohin sie rannten. Mit ihrer Taschenlampe konnten sie gerade nur so viel vor sich sehen, dass sie nicht in den nächsten Baum rannten. Die Welle war stets dicht hinter ihnen.
Irgendwann drehte sich Robin schlagartig um und hob seine Arme. Mit einer kurzen Bewegung lenkte er die Welle um und sie entlud sich seitlich von ihnen.
Gut gemacht!“, lobte Jojo.
Doch da erschien der Vermummte wieder hinter einem Baum. Er erschuf einen Wasserstrahl, der sich in Sekunden in einen Speer aus Eis verwandelte.
Was macht er da?“, fragte Robin entetzt.
Und da flog der Speer schon auf sie zu. Beide sprangen zur Seite und der Speer landete in einem Baum.
Renn!“, rief Jojo und beide rannten wieder los.
So schnell sie konnten wichen sie den Bäumen aus. Robin stolperte über einen Ast und wäre beinahe gestolpert. Doch Jojo fing ihn auf und stützte ihn. Da erschuf er eine Erdwand hinter sich, die ihren Verfolger für einen Moment abhalten sollte. Dann liefen sie weiter.
Einen Moment später erblickten sie eine Hütte mitten im Wald.
Schnell da rein!“, befahl Jojo.
Aber dann sind wir in der Falle“, widersprach Robin.
Vertrau mir!“
Die Tür war versperrt. Der Erd-Elementarist warf sich mit der Schulter gegen die Tür, sodass sie aufsprang. Schnell sprangen sie hinein.
Und jetzt?“, wollte Robin aufgeregt wissen.
Jojo stellte sich hinter die verschlossene Tür. Er hob seine Arme, schloss seine Augen und konzentrierte sich. Plötzlich gab es ein Erdbeben. Robin schaute sich verwirrt um und sah, wie sich vor den Fenstern eine Wand aus Erde erhob.
Wow“, kommentierte er es.
Nach einigen Momenten war wieder alles ruhig.
Das sollte unseren Verfolger abhalten, hier herein zu kommen“, erklärte der Muskelprotz. „Die Hütte ist von einem Erdwall umgeben.“
Meinst du nicht, er kann sich mit seinen Kräften dadurch graben?“
Vielleicht schon. Aber dann muss er ein bisschen Zeit aufwenden. Bis er bei uns ist, wird er vielleicht entdeckt. Das kann er sich nicht leisten.“
Ob er Recht behielt, würde sich bald zeigen.
Aber nun hatten sie etwas Zeit gewonnen und da schauten sie sich um. Mit ihren Taschenlampen leuchteten sie alles ab. Die Hütte musste schon einige Zeit leer stehen. In einer Ecke lagen nur ein paar Schaufeln und Rechen. Der Boden war staubig und überall lagen leere Bierflaschen und Verpackungsmüll herum. Hier hatten wohl früher Förster ein paar Geräte abgestellt, aber nun wurde er nicht mehr genutzt. Im Sommer schlief hier bestimmt der ein oder andere Obdachlose. Oder Jugendliche feierten hier ein kleine Sauforgie. Doch im Winter war es viel zu kalt.
Echt unheimlich“, sagte Robin irgendwann.
Lass uns da irgendwo hinsetzen“, forderte Jojo seinen Kumpel auf.
Sie setzten sich auf den Boden und lehnten sich gegen eine Wand.
Mein Akku ist bald leer“, sagte das Elementum irgendwann.
Meiner auch“, bestätigte Jojo. „Vielleicht solltest du doch ein kleines Feuer machen, damit wir zum einen gewärmt werden und zum anderen etwas Licht haben.“
Ich dachte, ich solle meine anderen elementaren Kräfte heute Nacht nicht einsetzen“, scherzte der Sechzehnjährige halbherzig.
Dass du jetzt noch Witze machen kannst“, kommentierte Jojo mit einem leichten Lächeln.
Beide schalteten ihre Taschenlampen ab und Robin erzeugte einen Feuerball in seiner Hand, der ein wenig Licht spendete.
Jetzt darf ich bloß nicht einnicken, sonst steht die Hütte in Flammen.“
Wir müssen uns sowieso wachhalten, falls unser Verfolger sich doch durch die Wand kämpft.“
Das kann ja eine super Nacht werden“, erwiderte Robin seufzend.