Als Ruth erwachte, befand sie sich in
einem Bett. Sie schaute sich um und bemerkte, dass sie sich wohl in
einem Krankenzimmer befand.
„Guten Tag“,
meldete sich eine Stimme vor ihr. Ihr fiel es schwer, den Blick nach
vorne zu richten, aber dann erkannte sie den Polizisten.
„Sie erinnern
sich an mich?“, fragte er vorsichtig.
„Ja“, krächzte
sie. Ihr Hals war ausgetrocknet.
„Einen Moment“,
sagte er und ging sofort an ihren Nachtschrank, wo sich ein
Becher voll mit Wasser darauf befand. Er nahm ihn und reichte ihn ihr
vorsichtig. Sie trank einen Schluck.
„Was ist
passiert?“, fragte sie anschließend. Sie hatte keine Schmerzen.
Sie fühlte sich lediglich sehr matt. Anscheinend hatte man ihr
Schmerzmittel verabreicht.
„Das würde ich
gerne von Ihnen wissen“, entgegnete ihr Herr Jäger. Sein Hut
und seine Jacke hatte er über einen Stuhl gelegt und so stand er nur
in seinem Hemd da. Er hatte muskulöse Oberarme und sein Gesicht
schien sehr freundlich. Seine dunklen Haare passten zu seinen
dunklen Augen. Doch seine Attraktivität interessierte Ruth in
diesem Augenblick nicht.
„Wo sind meine
Eltern?“
„Wir haben sie
benachrichtigt. Sie sind auf dem Weg hierher.“
Ruth wusste, dass es ein paar Stunden
dauern würde, denn schließlich waren ihre Eltern in Hamburg
und sie befand sich im Krankenhaus in Frankfurt.
Die Achtzehnjährige lehnte sich
zurück. Plötzlich war alles wieder da. Herr Wolff, die
Vergewaltigung und ihre tote Großmutter. Ihr kamen die Tränen.
Sie konnte sie einfach nicht unterdrücken.
Herr Jäger trat näher an sie heran.
„Wir werden alles
uns in der Macht stehende tun, um ihn zu schnappen. Aber hierfür
brauchen wir ein paar Angaben. Meine Kollegen werden sie befragen und
ein Phantombild anfertigen.
„Ich weiß ganz
genau, wer es war“, sagte sie mit Verbitterung in der Stimme.
„Sie kannten den
Täter?“
„Er ist unser
Nachbar. Ich hatte ihn auf der Zugfahrt von Hamburg hierher
getroffen. Wolff heißt er. Den Vornamen kenne ich nicht. Aber ich
kann ihnen seine genaue Adresse nennen, denn sie ist auch meine
eigene.“
„Sie haben ihn im
Zug getroffen und ihn dann mit zu ihrer Großmutter genommen?“,
hakte der Polizist nach.
„Natürlich
nicht“, widersprach Ruth und schluchzte dabei laut los. „Er hat
mir mein Portemonnaie gestohlen und die Adresse meiner Oma hatte
er von dem Schildchen an meiner Reisetasche. Ich ahnte nicht,
dass er dahinter steckt, bis ich bei meiner Oma in der Wohnung war
und er mich dort erwartete.
„Das tut mir sehr
leid, Frau Käppler.“ Der Polizist klang aufrichtig. „Aber
Sie können sicher sein, dass wir ihn kriegen.“
Das erleichterte sie kein Bisschen.
Schließlich lag sie ihm Krankenhaus. Sie würde die Bilder der
Vergewaltigung nie mehr aus ihrem Kopf bekommen. Zudem war ihre
geliebte Großmutter ermordet worden. Es fühlte sich so an, als
wäre ihr ganzes Leben zerstört worden. Niemand konnte ihr das
zurückgeben, was sie durch dieses Scheusal verloren hatte.
Bis zu seiner Tat war Ruth noch
Jungfrau gewesen. Sie war zwar schon volljährig, aber bisher
hatte sie noch mit keinem Jungen geschlafen. Dass ihr erstes Mal eine
Vergewaltigung sein würde, hätte sie niemals geahnt.
Sie bezweifelte, dass sie jemals
wieder glücklich werden würde.