Ruth
lief zunächst die Kaiserstraße entlang. Dies war die Straße, die
frontal vom Haupteingang des Hauptbahnhofs abging und zum
Rotlichtviertel Frankfurts gehörte. Neben allerhand Geschäften und
Restaurants, gab es auch Sexshops und Peepshows. Mittlerweile war es
auch schon dunkel und zu der Zeit lief eine junge Frau nicht
gerne alleine dort entlang. Normalerweise war hier am Wochenende auch
ein buntes Treiben angesagt, aber weil es regnete, war nicht so viel
los.
Der Regen wurde zudem schnell immer
stärker, sodass sich nun auch Ruth unter einem Vordach unterstellte,
wo sich bereits ein paar Drogensüchtige und Alkoholiker
befanden. Sie fühlte sich ziemlich unwohl und hoffte, dass der Regen
wieder nachlas, sodass sie weitergehen konnte. Doch so schnell
würde das Wetter ihr keinen Gefallen erfüllen.
Plötzlich sprach sie ein alter,
ziemlich dreckiger Mann in verschlissenen Hosen und mit grauen
Zottelhaaren von der Seite an:
„Tut mir leid, ich habe mein
Portemonnaie verloren“, entschuldigte sie sich und verkniff
sich den Kommentar, dass die deutsche Mark vor vielen Jahren
abgeschafft wurde. Der Mann war sichtlich alkoholisiert und nicht
mehr Herr seiner Sinne. Zum Glück ließ er sie dann gleich in Ruhe
und hakte nicht noch näher nach.
Sie überlegte kurz, ob sie nicht
einfach schwarz fahren sollte oder doch ein Taxi nahm, auf gut Glück,
dass ihre Oma Bargeld zuhause hatte, um den Taxifahrer zu bezahlen.
Doch sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Zum einen wollte sie
sich nicht beim Schwarzfahren erwischen lassen und zum anderen war
weit und breit kein Taxi in Sicht. Dafür hätte sie zurück zum
Hauptbahnhof laufen müssen und dann hätte sie wieder an den ganzen
zwielichtigen Personen vorbei gemusst.
Irgendwann fingen zwei Typen neben
ihr, lautstark an zu diskutieren. Ruth ahnte, dass daraus ein
heftiger Streit entstehen konnte, dem sie nicht gerne beiwohnen
würde. Und daher beschloss sie, weiter durch den Regen zu gehen und
sich durch das Wetter zu kämpfen.
An der nächsten Straßenecke bog sie
nach rechts ab und lief weiter geradeaus zum Main. Der Regen
prasselte ihr ins Gesicht und da sie auch keine Handschuhe hatte,
waren ihre Hände pitschnass geworden. Ihre Laune sank und sie
wollte nur noch in die warme Stube ihrer Oma und eine Tasse heißen
Kakao, den ihr ihre Großmutter bei jedem Besuch sofort anbot.
Unter einer Brücke stellte sie sich
erneut unter. Da befanden sich zwar auch ein paar Obdachlose, aber
diese hatten sich unter ihren Decken eingemurmelt und schliefen
scheinbar. Daher fühlte sie sich nicht bedroht. Sie stellte ihre
Tasche ab und begutachtete den Präsentkorb. Die Plastikfolie hielt
noch und ließ die Regentropfen glücklicherweise abprallen.
Doch die Form war leider nicht gewahrt worden und so sah der Korb ein
bisschen zerknautscht aus.
Sehr schade.
Die Achtzehnjährige nahm noch mal ihr
Handy heraus und versuchte es anzuschalten. Doch es reagierte nicht.
Sie nahm sich für die Zukunft vor, sich ein mobiles Ladegerät zu
kaufen, damit sie unterwegs ihren Akku aufladen konnte. Oder sie
würde sich ein neues Akku zulegen, denn ihr alter tat es wohl nicht
mehr lange.
Nach einer Weile hörte der Regen
langsam auf. Es tropfte nur noch vereinzelt. Ruth war erleichtert.
Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Mittlerweile war sie schon über
eine Stunde in Frankfurt. Was für ein schlechter Start in ihrer
Heimat.
Sie packte ihre Sachen und ging wieder
los. Sie lief mit schnellen Schritten Richtung Eiserner Steg. Sie
konnte es kaum abwarten, bei ihrer Großmutter auf dem Sofa zu
sitzen.