[Er wartet auf dich] Kapitel 8

Ruth lief zunächst die Kaiserstraße entlang. Dies war die Straße, die frontal vom Haupteingang des Hauptbahnhofs abging und zum Rotlichtviertel Frankfurts gehörte. Neben allerhand Geschäften und Restaurants, gab es auch Sexshops und Peepshows. Mittlerweile war es auch schon dun­kel und zu der Zeit lief eine junge Frau nicht gerne alleine dort entlang. Normalerweise war hier am Wochenende auch ein buntes Treiben angesagt, aber weil es regnete, war nicht so viel los.
Der Regen wurde zudem schnell immer stärker, sodass sich nun auch Ruth unter einem Vordach unterstellte, wo sich bereits ein paar Drogensüch­tige und Alkoholiker befanden. Sie fühlte sich ziemlich unwohl und hoffte, dass der Regen wie­der nachlas, sodass sie weitergehen konnte. Doch so schnell würde das Wetter ihr keinen Gefallen erfüllen.
Plötzlich sprach sie ein alter, ziemlich dreckiger Mann in verschlissenen Hosen und mit grauen Zottelhaaren von der Seite an:
Hast du mal 'ne Mark?“
Tut mir leid, ich habe mein Portemonnaie ver­loren“, entschuldigte sie sich und verkniff sich den Kommentar, dass die deutsche Mark vor vielen Jahren abgeschafft wurde. Der Mann war sichtlich alkoholisiert und nicht mehr Herr seiner Sinne. Zum Glück ließ er sie dann gleich in Ruhe und hakte nicht noch näher nach.
Sie überlegte kurz, ob sie nicht einfach schwarz fahren sollte oder doch ein Taxi nahm, auf gut Glück, dass ihre Oma Bargeld zuhause hatte, um den Taxifahrer zu bezahlen. Doch sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Zum einen wollte sie sich nicht beim Schwarzfahren erwischen lassen und zum anderen war weit und breit kein Taxi in Sicht. Dafür hätte sie zurück zum Hauptbahnhof laufen müssen und dann hätte sie wieder an den ganzen zwielichtigen Personen vorbei gemusst.
Irgendwann fingen zwei Typen neben ihr, laut­stark an zu diskutieren. Ruth ahnte, dass daraus ein heftiger Streit entstehen konnte, dem sie nicht gerne beiwohnen würde. Und daher beschloss sie, weiter durch den Regen zu gehen und sich durch das Wetter zu kämpfen.
An der nächsten Straßenecke bog sie nach rechts ab und lief weiter geradeaus zum Main. Der Regen prasselte ihr ins Gesicht und da sie auch keine Handschuhe hatte, waren ihre Hände pit­schnass geworden. Ihre Laune sank und sie wollte nur noch in die warme Stube ihrer Oma und eine Tasse heißen Kakao, den ihr ihre Großmutter bei jedem Besuch sofort anbot.
Unter einer Brücke stellte sie sich erneut unter. Da befanden sich zwar auch ein paar Obdachlose, aber diese hatten sich unter ihren Decken einge­murmelt und schliefen scheinbar. Daher fühlte sie sich nicht bedroht. Sie stellte ihre Tasche ab und begutachtete den Präsentkorb. Die Plastikfolie hielt noch und ließ die Regentropfen glücklicher­weise abprallen. Doch die Form war leider nicht gewahrt worden und so sah der Korb ein bisschen zerknautscht aus.
Sehr schade.
Die Achtzehnjährige nahm noch mal ihr Handy heraus und versuchte es anzuschalten. Doch es reagierte nicht. Sie nahm sich für die Zukunft vor, sich ein mobiles Ladegerät zu kaufen, damit sie unterwegs ihren Akku aufladen konnte. Oder sie würde sich ein neues Akku zulegen, denn ihr alter tat es wohl nicht mehr lange.
Nach einer Weile hörte der Regen langsam auf. Es tropfte nur noch vereinzelt. Ruth war erleich­tert. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Mittlerweile war sie schon über eine Stunde in Frankfurt. Was für ein schlechter Start in ihrer Heimat.
Sie packte ihre Sachen und ging wieder los. Sie lief mit schnellen Schritten Richtung Eiserner Steg. Sie konnte es kaum abwarten, bei ihrer Großmutter auf dem Sofa zu sitzen.