„Bevor
wir mit der Nachhilfestunde anfangen, darf ich mit dir noch mal über
das Thema Zirkel sprechen?“
Robin
dachte die ganze Zeit darüber nach, wie er Marina überreden könnte.
Die ganze Geschichte ließ ihm keine Ruhe. Er wollte endlich stärker
werden und sich selbst verteidigen können, denn er wollte nicht mehr
in den Wänden des Internats gefangen sein. Schließlich durfte er
noch immer nicht das Haus 4E ohne einen Erwachsenen verlassen, da
bisher noch nicht geklärt werden konnte, von wem er in Berlin
angegriffen wurde.
„Ich
dachte, wir hätten das Thema beendet“, entgegnete ihm die schlaue
Wasser-Elementaristin mit der Nerd-Brille und den langen, braunen
Haaren.
Die
beiden Schüler befanden sich wieder in der großen, leeren Turnhalle
und waren kurz davor, eine neue Lektion zu beginnen. Doch zuvor
wollte Robin klären, ob er das Mädchen vielleicht trotzdem für
seinen Zirkel gewinnen könnte. Unbedingt wollte er seine
Nachhilfe-Lehrerin für sein Team gewinnen. Er mochte Marina. Sie war
klug und sympathisch. So eine Person fehlte seinem Team noch. Im
Laufe der Zeit waren sie auch so etwas wie Freunde geworden und daher
war es ihm besonders wichtig, dass sie das Element Wasser in seinem
Zirkel verkörperte.
„Ich
habe aber jetzt noch mal mit den anderen gesprochen. Sie können
deine Einwände sehr gut nachvollziehen...“
„Siehst
du“, unterbrach ihn das Mädchen. „Die anderen sind vernünftiger
als du.“
„Aber
dennoch sind sie der Meinung, dass du unseren Zirkel perfekt ergänzt.
Du bist klug und vernünftig. Du könntest der Kopf unseres Teams
werden.“
„Du
weist, dass ich finde, dass wir dafür noch zu wenig Ahnung haben.
Wir bräuchten einen Profi im Zirkel.“
„Das
wäre natürlich super“, stimmte Robin ihr beschwichtigend zu.
„Aber wir können auch gemeinsam wachsen. Wir haben uns deshalb
überlegt, dass wir erst Rituale durchführen, wenn wir uns
hundertprozentig sicher fühlen. Wenn wir denken, wir setzen uns
einer Gefahr aus, lassen wir es sein.“
Marina
seufzte bei diesen Ausführungen. Sie wusste nicht, wie sie darauf
reagieren sollte. Auf der einen Seite klang das alles schlüssig. Auf
der anderen Seite war sie der Meinung, dass sich die Mühe nicht
lohnte, da sie sich in nächster Zeit bestimmt nicht so sicher fühlen
würden, um ein Ritual durchzuführen.
„Du
hast Bedenken“, fuhr der Sechzehnjährige fort, „was ich
verstehen kann. Aber wir würden die Entscheidungen sowieso nur als
Team treffen. Also hättest du immer Mitspracherecht. Und wenn du
gegen etwas bist, wird es einfach nicht gemacht.“
„Anscheinend
ist es dir tatsächlich wichtig, dass ich Mitglied deines Zirkels
werde.“
„Ja,
das ist es“, lächelte er das Mädchen ermutigend an.
„Da
fühle ich mich aber geschmeichelt“, erwiderte Marina neckend.
„Dann habe ich wohl keine Wahl.“
„Super“,
schrie der Junge plötzlich erfreut los. „Danke!“ Er konnte nicht
anders, als seine Mitschülerin fest an sich zu drücken und sie zu
umarmen. Er war so froh darüber, dass sie letztendlich doch zusagte.
„Die anderen werden sich auch darüber freuen.“
Nun
war sein Zirkel komplett und sie konnten sich an die Arbeit machen,
für Rituale zu recherchieren. Doch vorher stand noch die
Nachhilfestunde im Element Wasser bevor. Zugegebenermaßen war Robins
Konzentration nicht mehr sehr hoch, aber er gab sich dennoch Mühe
und befolgte Marinas Anweisungen so gut es ging.
Robin
war mittlerweile so weit, dass er ein wenig Wasser aus dem Nichts
erschaffen konnte. Zwar fiel ihm das mit Feuer leichter, aber er
konnte das, was er bei Serafina Funke im Feuer-Unterricht gelernt
hatte, auch ein wenig auf das Wasser übertragen.
Plötzlich
fing es in der Halle an zu regnen.
„Was
ist das denn jetzt?“, erkundigte sich der Sechzehnjährige.
„Willst
du mich etwa beeindrucken, Robin?“, fragte nun Marina nach. „Es
in einem Raum regnen zu lassen, musst du heimlich geübt haben.“
„Du
kannst mir nichts vormachen, meine Liebe“, gab er seiner
Mitschülerin neckend zurück. „Ich weiß, dass du dahinter
steckst. Aber hör jetzt auf damit, sonst werden wir vollkommen
durchnässt sein.“
„Das
bin ich nicht“, widersprach sie ihm.
„Jetzt
komm schon.“ Er wollte ihr nicht glauben.
Doch
plötzlich kam ein ganzer Wasserschwall von der Decke und die beiden
schrien gleichzeitig los. Von einer Sekunde auf die andere standen
sie bis zum Hals im Wasser und versuchten, nicht zu ertrinken.
„Was
soll das?“, gluckste das Mädchen.
„Woher
kommt das?“, rief das junge Elementum laut aus.
Beide
wurden immer wieder unter Wasser getaucht und hatten die Befürchtung,
in den Wassermassen unterzugehen und in der Sporthalle zu ertrinken.
Schließlich konzentrierte sich die kluge Wasser-Elementaristin und
nahm ihre ganze Kraft zusammen, um das Wasser von sich zu drücken.
Plötzlich entstand in der Mitte der Halle eine trockene Stelle.
Marina stand da, beide Arme von sich gestreckt und völlig
konzentriert. Robin stand hinter ihr und betrachtete das Schauspiel
um sie herum. Überall um sie herum war Wasser, dass das Mädchen nur
mit Mühe und Not von ihnen fernhielt. Doch es drohte fast schon
wieder, die beiden Schüler unter sich zu begraben.
„Robin“,
presste Marina aus ihren Lippen mit aller Kraft hervor, „du musst
mir helfen. Ich schaffe das nicht alleine.“
Der
Sechzehnjährige wusste nicht, was er tun sollte. So weit war er im
Element Wasser noch nicht. Verzweifelt blickte er sich um und suchte
nach einer rettenden Idee. Doch er sah überall, wo er hinblickte,
nur Wasser.
Schließlich
kam er zu dem Schluss, dass ihm nur ein Ausweg blieb. Er musste eines
der hohen Fenster der Halle zerstören, damit er mit Marina hinaus
fliehen konnte.
„Marina,
kannst du ein Stück Richtung Fenster laufen und weiterhin die
Wassermassen von uns fernhalten?“
„Ich
werde es versuchen.“
Langsam
liefen sie zusammen zu den Fenstern. Der Kreis um sie herum würde
immer kleiner und das Wasser kam immer näher an sie heran. Bald
würde es über sie hinein brechen. Daher musste sich Robin beeilen.
Als sie bei den Fenstern angekommen waren, konzentrierte er sich auf
seine Handfläche und ließ mit Hilfe seiner Kenntnisse über das
Element Erde einen schweren Stein erscheinen. Dann schleuderte er es
mit aller Kraft und mit Hilfe des Elements Luft gegen das Fenster,
sodass es zerbrach und in tausend Scherben zersprang.
Sodann
schnappte er sich das Mädchen und zerrte es nach draußen in die
Freiheit. Sie landeten vor der Halle auf dem Boden, bevor die
Wassermassen auf sie hinunter preschen konnten.
Marina
schaute ihren Mitschüler verängstigt an.
„Was
war das denn?“
„Das
kann ich dir auch nicht sagen. Aber du warst super, Marina. Du hast
uns gerettet.“
„So
ein Quatsch“, erwiderte sie abwehrend. „Du bist mindestens
genauso für unsere Rettung verantwortlich. Ohne dich wäre ich
aufgeschmissen gewesen.
„Können
wir uns darauf einigen, dass wir uns gegenseitig geholfen haben? Das
beweist doch nur, dass wir ein gutes Team sind und wir deshalb einen
perfekten Zirkel gründen werden.“
Bei
dieser Aussage musste Marina lächeln. Doch bevor noch etwas
passierte, standen sie schnell auf und rannten zum Verwaltungstrakt,
um sich Hilfe bei den Lehrern zu holen. Als sie von der Geschichte
hörten, machten sie sich sofort auf den Weg zur Sporthalle. Doch
dort konnten sie niemanden finden, der für die Misere verantwortlich
gewesen wäre. Zähneknirschend kümmerten sie sich darum, dass die
Halle trocken gelegt wurde und das Fenster wieder repariert wurde.
Die beiden verunsicherten Schüler schickten sie auf ihre Zimmer. Sie
würden noch einmal auf sie zukommen, um über das Geschehene zu
sprechen.
Mittlerweile
hatte Robin eine Idee, wer dahinter stecken könnte. Denn erneut war
es das Wasser, was ihn attackiert hatte - genauso wie in Berlin. Also
vermutete er, dass derselbe Kerl dahintersteckte. Und das würde er
seinen Lehrern mitteilen. Wahrscheinlich würde dies zwar bedeuten,
dass er immer noch in Gefahr schwebte und weiterhin nicht alleine das
Haus 4E verlassen durfte, aber auf der anderen Seite wollte er Hilfe
von seinen Lehrern, damit der Schuft schnell geschnappt werden
konnte.
Auf
jeden Fall nahm er sich das für den kommenden Tag vor. Einschüchtern
lassen wollte er sich aber trotzdem nicht. Jetzt war der Entschluss
für den Zirkel endgültig gefasst.