Doch
leider musste die Verabredung zunächst einmal verschoben werden,
denn dem Elftklässler kam etwas dazwischen. Er wurde in das Büro
des Rektors gerufen, wo ihm mitgeteilt wurde, dass er einen Lehrgang
nach Berlin machen würde.
„Herr
Hawkins hat den Kontakt zu einem sehr angesehenen Luft-Elementaristen
hergestellt“, erklärte Quinn. „Er wird Ihnen sicherlich etwas
beibringen können.“
Robin
war sehr überrascht und misstrauisch zugleich. Zwar freute er sich
die ganze Zeit darauf, endlich einen außerschulischen Ort
aufzusuchen und von Meistern ihres Faches zu lernen, aber als er den
Namen seines jungen Lehrers Skye hörte, schwang seine Euphorie
schlagartig um.
„Sie
werden am Freitagabend einen Flug nach Berlin nehmen und dort dann
gegen neun Uhr ankommen. Sie werden zunächst die Möglichkeit haben,
dort zu übernachten. Der Lehrgang beginnt am Samstagvormittag. Am
Sonntagmorgen werden Sie bereits den Flieger zurück nach Frankfurt
nehmen.“
Neugierig
hörte sich der Sechzehnjährige dies an. Er fand es schade, dass er
wohl kaum die Zeit hatte, sich Berlin anzuschauen. Zwar war er mit
seinen Eltern bereits einmal dort gewesen, aber da war er quasi noch
ein Kind. Jetzt würden ihn ganz andere Orte in Berlin interessieren.
Aber auf eine Sightseeingtour musste er zähneknirschend verzichten.
Nach
dem Gespräch mit dem Schulleiter fragte er sich wieder, was Skye mit
diesem Lehrgang bezwecken wollte. Ihm hätte sofort klar sein müssen,
dass sein junger Lehrer als erster die Chance ergriff, um mit ihm
einen alleinigen Ausflug zu unternehmen. Bei diesem Gedanken wünschte
er sich sehr, zumindest einen seiner Freunde mitnehmen zu dürfen. Er
wollte nicht mit dem Junglehrer allein sein.
Auf
der anderen Seite hatte er sich ja vorgenommen, positiv zu denken und
nicht mehr so misstrauisch zu sein. Wenn Skyes Worte wahr waren und
er tatsächlich nur hilfsbereit und nett sein wollte, musste er sich
keine Sorgen machen.
Zudem
treffen wir dort auf einen angesehenen Elementaristen. Da wird mir
doch sicher nichts passieren.
An
einem Freitagabend war es dann soweit. Er hatte sich eine Tasche
gepackt und traf seinen Lehrer im Hof. Zusammen nahmen sie sich ein
Taxi zum Flughafen. Dort mussten sie ein wenig warten, bis sie das
Flugzeug besteigen konnten. Mit etwas Verspätung landeten sie am
Berliner Flughafen Schönefeld. Von dort aus fuhren sie mit der Bahn
weiter. Die Fahrt dauerte länger als erwartet, da sich der
Elementarist im Stadtteil Friedrichshain befand. Dort stiegen sie an
der S-Bahn-Station aus. Skye erklärte, dass sie nun ein Stückchen
laufen mussten. Gerne hätte sich Robin eine weitere Taxifahrt
gewünscht. Er war müde und die Bahnfahrt fand er auch nicht so
schön. Aber er verkniff sich den Vorschlag, weil er nicht
unverschämt klingen wollte. Wahrscheinlich hatte die Schule schon
genug Geld für den Flug und die Unterkunft bezahlen müssen und da
konnte man wenigstens an der Taxifahrt sparen.
Mittlerweile
war es schon dunkel, aber in Berlin war noch immer viel los - es war
ja schließlich Freitagabend. Auf den Straßen herrschte reger
Betrieb und die Bars und Restaurants hatten noch immer geöffnet.
Während Skye mit seinem Smartphone in der Hand, auf dem die
Navigationsapp eingeschaltet war, voran ging und dabei seinen
Rollkoffer hinter sich herzog, trottete Robin mit seinem
vollgepackten Rucksack langsam hinterher. Er schaute sich die Gegend
ganz genau an und er meinte, einen großen Kontrast zu Frankfurt zu
erkennen. Während Frankfurt eher eine schicke Bankenstadt war, war
Friedrichshain eher heruntergekommen. Die Leute schienen ebenfalls
nicht im Luxus zu baden. Andererseits gab es in Frankfurt ja
ebensolche Gegenden.
Schließlich
erreichten die beiden eine große Häuserfront. Sie mussten über
einen Parkplatz an diesen Häusern vorbei und landeten auf einem
Hinterhof. Es war stockdüster und nur die Beleuchtung des
Smartphones half ihnen, den Weg zu finden.
„Sind
wir hier richtig?“, wollte sich der Sechzehnjährige bei seinem
Lehrer versichern.
„Ja“,
bestätigte Skye. „Jedenfalls sagt mir das mein Navi. Vor uns ist
die Haustür. Lass uns mal schauen, ob wir seinen Namen auf der
Klingel finden.“
Der
Innenhof glich von der Größe her dem vom Internat, nur dass sich
hier in der Mitte ein Brunnen mit einer großen steinernen Figur
befand. Robin konnte leider nichts Genaueres in dieser Dunkelheit
erkennen.
Gerade
als sie diesen Brunnen umrunden wollten, sprang eine finstere Gestalt
blitzartig von der Brunnenfigur auf Skye zu und schlug ihn nieder.
Erschrocken schrie Robin laut auf. Der junge Lehrer lag auf dem Boden
und bewegte sich nicht mehr, während die düstere Gestalt, die
komplett in schwarz gekleidet war und ebenfalls eine schwarze Kapuze
über dem Kopf trug, vor ihm stand.
„Was
soll das?“, fragte Robin mutig, auch wenn er innerlich eine
Heidenangst verspürte.
Die
Gestalt antwortete nicht und stand stattdessen breitbeinig und mit
von sich gestreckten Händen da, bereit anzugreifen, etwa fünf Meter
vor dem Sechzehnjährigen.
Tausend
Gedanken kreisten im Kopf des Jungen. Er wusste nicht, was dies
sollte und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Sollte er laut
um Hilfe schreien? Oder schnell sein Handy zücken, um die Polizei zu
rufen? Er war mit dieser Situation völlig überfordert.
Schließlich
wedelte die Gestalt im schwarzen Kostüm mit ihren Händen und aus
dem Brunnen wurde das Wasser nach oben geworfen.
„Aahhh“,
schrie Robin. Er realisierte erst jetzt, dass der Angreifer das
Wasser kontrollieren konnte und demnach ebenfalls ein Elementarist
war.
Das
Wasser brach mit einer gewaltigen Kraft auf ihn ein und riss ihn zu
Boden. Er merkte, dass er keine Luft mehr bekam und panisch wurde.
Will
er mich ersaufen?,
fragte er sich in Gedanken.
Er
versuchte mit aller Kraft aufzustehen, aber die Wassermassen waren zu
stark. Nun konnte er nicht mal nach Hilfe rufen und sein Handy in der
Hosentasche war sicher hinüber.
Reiß
dich zusammen,
sagte er sich selbst.
Mit
letzter Kraft konzentrierte er sich auf das, was er von Marina
gelernt hatte und schaffte es, das Wasser von sich zu lenken, sodass
er wieder Luft bekam und aufstehen konnte. Er spuckte das geschluckte
Wasser wieder aus und griff sich angestrengt an die Lunge. Doch sein
Gegner ließ ihm keine Zeit für eine Verschnaufpause und lenkte
bereits den nächsten Wasserschwall auf ihn.
Robin
nahm all seine Kraft zusammen und sprang zur Seite, sodass er sich
knapp vor der Flut retten konnte.
„Hey!“,
schrie er. „Was soll das?“
Doch
die dunkle Gestalt lachte nur mit einer gehässigen Stimme boshaft
los. Dann lenkte er den Wasserstrahl so um, dass er drohte, Robin
wieder unter sich zu vergraben.
Schnell
ging der Sechzehnjährige in Gedanken seine Möglichkeiten durch und
entschied sich, nicht gegen die Wassermassen anzukämpfen.
Stattdessen beschwor er einen Feuerball und schleuderte ihn gegen
seinen Widersacher. Dieser wurde nun ebenfalls zu Boden geschleudert.
Gleichzeitig platschte das gesamte Wasser zu Boden.
Klitschnass
und sauer konzentrierte sich Robin noch einmal darauf, das Feuer zu
beschwören. Darin war er besser als in den anderen Elementen, da er
darin ein größeres Training hatte. Er beschwor zwei weitere
Feuerbälle und rannte mit ihnen auf seinen Gegner zu. Dieser
bemerkte wohl, dass er nun der Unterlegene war, richtete sich schnell
auf und rannte davon.
Zunächst
überlegte er, dem Angreifer zu folgen, erinnerte sich aber an Skye,
der noch immer bewusstlos am Boden lag. Daher entschied er sich,
lediglich die Feuerbälle nach dem Kerl zu werfen, der sich kurz,
bevor sie ihn trafen, rettete, indem er einen Wasserstrahl beschwor,
der das Feuer in Dampf auflöste. Trotzdem ergriff er weiterhin die
Flucht und verschwand in der Nacht.
Der
blonde Schüler rannte schnell zu seinem Begleiter und beugte sich
über ihn.
„Skye“,
rief er, „kannst du mich hören?“
Er
schüttelte ihn ein wenig und da öffnete der Lehrer langsam seine
Augen.
„Was...
was ist passiert?“, fragte er erschöpft.
„Wir
wurden von einem Wasser-Elementaristen angegriffen.“
Plötzlich
erklang eine kräftige Stimme hinter ihnen:
„Was
ist hier los?“
Robin
starrte in die Richtung, aus der Schritte einer herannahenden Person
vernahm, die das Licht einer Taschenlampe auf sie richtete. Vom
Schein geblendet nahm Robin seine Hand vor sein Gesicht.
„Sind
Sie es, Herr Hauch?“, fragte Skye den Unbekannten.
„Herr
Hawkins?“, entgegnete die Stimme.
„Ja“,
bestätigte der Lehrer. „Wir wurden angegriffen.“
„Meine
Güte“, rief der Herr aus. „Lassen Sie mich Ihnen helfen.“
Nun
konnte ihn Robin auch erkennen. Der Mann war ein großer, dicker Kerl
im Alter von etwa fünfzig Jahren. Er hatte kastanienbraunes Haar und
eine spitze Nase. Sein Gesichtsausdruck verriet Freundlichkeit, aber
gleichzeitig Besorgnis.
Zusammen
hoben Robin und der Herr, den Skye Hauch nannte, den Lehrer hoch und
halfen ihm ins Haus. Sie betraten eine große Wohnung, die stilvoll
eingerichtet war. Doch Robin blieb keine Zeit, sich umzuschauen. Sie
legten den jungen Lehrer auf die Couch und Hauch bereitete ihm einen
nassen Waschlappen vor, den er ihm zum Kühlen gab. Währenddessen
holte der Schüler die Taschen in die Wohnung. Herr Hauch zeigte ihm
das Badezimmer, wo sich Robin trockene Klamotten anziehen konnte.
Erst dann trafen sie im Wohnzimmer aufeinander, um miteinander zu
sprechen.
Der
Sechzehnjährige erzählte den beiden Luft-Elementaristen den ganzen
Vorfall. Sie waren beide schockiert darüber und waren aber ebenso
froh, dass Robin den Angreifer in die Flucht schlagen konnte.
„Was
wollte er bloß“, fragte der blonde Schüler die beiden
Erwachsenen. Er hoffte darauf, von ihnen eine Erklärung zu erhalten.
„Ich
habe keine Ahnung“, antwortete Hauch ohne zu zögern. „Allerdings
gibt es Elementaristen, die es einem Elementum nicht gönnen, dass er
alle vier Elemente beherrschen kann.“
Entsetzt
schaute der Sechzehjährige den dicken freundlichen Herrn an.
„Meinen
Sie, er war nur hier, um mich anzugreifen?“
„Das
könnte gut möglich sein. Du trägst eine ungeheure Macht in dir,
Junge. Und andere Elementaristen meinen, sie stehe dir nicht zu und
daher müssen sie dir den Gar ausmachen.“
Robin
war völlig darüber schockiert, was er da hörte. Er konnte nicht
glauben, dass ihm jemand nach dem Leben trachten könnte. Davon hatte
er bisher noch nichts gehört.
„Aber
woher wusste er, dass hier heute Abend ein Elementum sein wird?“,
mischte sich nun Skye ein.
„Also
Sie müssen mir glauben, dass ich es niemandem erzählt habe“,
reagierte Hauch sofort.
„So
meinte ich das auch nicht“, entschuldigte sich der Lehrer schnell.
„Aber irgendwoher musste dieser Kerl doch die Information haben.“
„Vielleicht
wurde das Telefonat abgehört oder die Emails wurden gelesen“,
schlug der dickliche Herr vor.
„Das
klingt ja nach organisiertem Verbrechen“, entgegnete Skye
ungläubig. „Dann müsste sich ja bereits herumgesprochen haben,
dass 4E ein Elementum beherbergt.“
„Bis
zu Ihrem Anruf wusste ich allerdings nichts davon“, warf Hauch ein.
„Und ich bin eigentlich über solche Dinge sehr gut informiert.“
Die
beiden diskutierten hin und her, während sich Robin das Ganze
interessiert anhörte. Er war sich überhaupt nicht darüber bewusst,
was seine Existenz ausrichten konnte. Bisher nahm er an, dass er
höchstens sich selbst zur Gefahr werden konnte, wenn er seine
Fähigkeiten nicht richtig kontrollierte. Doch nun waren auch noch
andere hinter ihm her. Damit hätte er nie gerechnet und das warf ihn
aus allen Wolken.
Nach
einiger Zeit stoppte der ältere Luft-Elementarist das Gespräch:
„Nun
sollten wir es dabei belassen und heute nicht mehr darüber
nachdenken. Hier seid ihr beiden erst einmal in Sicherheit. Es ist
schon spät. Ich sollte euch euer Zimmer für dieses Wochenende
zeigen, denn morgen früh geht es bereits los. Und da solltest du fit
sein, Junge.“
Skye
und Robin stimmten dem dicken Mann zu und ließen sich in ein
Gästezimmer führen. Zunächst war der Sechzehnjährige nicht
darüber erfreut, als er das Doppelbett in dem Zimmer sah. Doch sein
Lehrer erklärte ihm schnell, dass er das Bett für sich allein haben
durfte und er stattdessen auf dem Boden schlafen würde.
„Herr
Hauch stellt mir eine Luftmatratze zur Verfügung.“
Der
junge Schüler war erleichtert darüber, denn sonst wäre er
wahrscheinlich erneut misstrauisch gegenüber seinem Lehrer geworden.
In einem Bett wollte er ganz sicher nicht mit ihm schlafen.
Als
er schließlich im Bett lag, spürte er, wie ihn die Müdigkeit
übermannte. Der Tag war lang gewesen und gerade die Ereignisse am
Abend forderten ihren Tribut. Nun war er froh, sich ausruhen zu
können und verschwendete keinen Gedanken mehr an den Angreifer.
Dafür wäre am nächsten Tag noch genug Zeit. So machte er es sich
gemütlich, schloss die Augen und schlief schnell ein.