In
den nächsten Tagen war das Verhältnis zwischen Iggy und Robin recht
kühl. Sie sprachen nur das Nötigste miteinander. Jojo fühlte sich
unwohl, weil er so zwischen den Fronten stand. Er redete immer wieder
auf beide ein, dass sie wieder normal miteinander umgehen sollten,
doch anscheinend waren sie beide hartnäckige Sturköpfe.
Heute
sollte die erste Nachhilfestunde mit der intelligenten Marina
stattfinden. Auch wenn sie nicht Aria war, freute sich der
Sechzehnjährige, die Wasser-Elementaristin näher kennen zu lernen.
Sie durften gemeinsam die Sporthalle nutzen, in der sie viel Platz
hatten, um ihre Übungen durchzuführen.
„Hey“,
begrüßte ihn das Mädchen schüchtern.
„Hi,
Marina“, gab er freundlich zurück. „Danke, dass du mir hilfst.“
„Für
mich ist es eine Ehre“, entgegnete sie ihm zurückhaltend.
„Eine
Ehre? Wow! Das hatte noch nie jemand zu mir gesagt.“
„Es
gibt nur wenige Elementaristen auf der Welt, die alle vier Elemente
beherrschen können. Einem Elementum gegenüber zu stehen, ist schon
etwas ganz Besonderes.“
„Ach
das meintest du“, seufzte der Sechzehnjährige. „Ich dachte, du
meintest mich persönlich.“
Die
Wangen des Mädchens mit den langen, dunklen Haaren und der großen
Nerd-Brille liefen leicht rötlich an. Schnell wollte Robin das Thema
wechseln:
„So,
wie fangen wir heute an?“
„Am
besten wir machen das, was wir in der ersten Lektion bei Tiberius von
Zimmenthal gelernt haben.“
Marina
holte eine kleine Wasserflasche aus dem Rucksack, den sie mitgebracht
hatte. Sie öffnete die Flasche und kniete sich hin. Auch Robin tat
dies. Sie schraubte den Deckel der Flasche ab und schüttete einen
kleinen Tropfen des Inhalts auf den Boden. Der Sechzehnjährige
schaute ihr gespannt zu. Dann erklärte sie ruhig.
„Du
musst dich nun auf diesen kleinen Tropfen konzentrieren und ihn
versuchen zu bewegen.“
„Oh“,
freute sich der blonde Schüler. „Das ist einfach. Da war mein Test
beim Rektor schwieriger. Er ließ einen Wasserhahn laufen und ich
musste verhindern, dass das Wasser in den Ausguss läuft.“
„Und
das hast du geschafft?“, hakte seine Mitschülerin erstaunt nach.
„Ja,
das habe ich“, antwortete er stolz.
„Dann
bist du ja doch schon weiter als gedacht. Deine Kräfte müssen
wirklich enorm sein. Wenn du willst, können wir gleich zur nächsten
Übung übergehen.“
„Von
mir aus.“
„Gut“,
fuhr sie fort. „Als nächstes versuche dafür zu sorgen, dass aus
dem Tropfen mehr Wasser wird.“
„Wie
bitte?“, wollte Robin wissen. „Wie soll ich denn aus einem
Tropfen mehr Wasser machen?“
„Das
ist die Stärke unserer Fähigkeit. Wir können im Prinzip aus dem
Nichts Wasser erscheinen lassen.“
„Aber
ist das dann nicht etwas für Fortgeschrittene?“
„Ich
dachte, du wärst schon soweit“, spottete Marina.
„Du
willst mich wohl ärgern!“
„So
schwer ist das nicht“, erklärte das Mädchen weiter. Dabei hob sie
ihre beiden Hände über den Wassertropfen, warf ihren Kopf nach
hinten und schloss die Augen. Plötzlich bewegte sich der Tropfen und
zitterte hektisch. Robin verfolgte das Schauspiel gespannt. Er sah,
wie der Tropfen sich ausbreitete und eine kleine Pfütze auf dem
Boden entstand.
„Jetzt
hast du mich aber beeindruckt“, lobte der Schüler die
Wasser-Elementaristin.
„Danke“,
entgegnete sie mit einem Lächeln. „Von Zimmenthal ist zwar streng,
aber er bringt uns schon etwas bei. Da bin ich ganz froh drum.“
„Und
das, obwohl er dich so mies behandelt.“
„Was
meinst du?“, hakte Marina nun neugierig nach.
„Ich
habe schon mitbekommen, dass alles, was du für den Unterricht
machst, nicht gut genug für ihn ist. Dabei bist du die Klügste
unter uns.“
„Aber
leider nicht so klug wie mein großer Bruder.“
„Du
hast noch einen Bruder?“
„Ja“,
sprach sie weiter, „er heißt Marin und hat hier letztes Jahr
Abitur gemacht. Er hatte einen Abschluss von 1,0.“
„Stark“,
entgegnete Robin beeindruckt. „Aber das wirst du wahrscheinlich
auch schaffen.“
„Wahrscheinlich
reicht meinem Tutor anscheinend nicht.“
„Der
spinnt ja auch komplett. Iggy musste bei ihm nachsitzen, als du bei
ihm im Büro warst. Da hat er sich auch daneben benommen.“
Sofort
wurde das Mädchen wieder rot im Gesicht und wandte sich peinlich
berührt von Robin ab.
„Oh
nein“, entschuldigte er sich. „Es tut mir leid, wenn ich dich in
Verlegenheit gebracht haben sollte. Das wollte ich nicht.“
„Schon
gut. Ich wusste nicht, dass das jemand mitbekommen hatte.“
„Keine
Sorge“, beruhigte er Marina. „Das bleibt unter uns.“
Robin
hätte nicht gedacht, dass er das Mädchen so sympathisch finden
würde. Schon im Unterricht fand er sie eigentlich ganz nett, aber er
hatte auch damit gerechnet, dass er sie eventuell für oberschlau und
eine Streberin halten würde. Aber das war nicht so. Sie war wirklich
nett und er freute sich, sie nun in dieser Nachhilfestunde näher
kennen lernen zu dürfen.
Während
des Restes der Stunde hatte Robin sogar Spaß und war etwas
enttäuscht, als es vorbei war. Er freute sich darauf, Marina am
nächsten Tag im Unterricht wieder zu sehen.
Danach
hatte er ein mulmiges Gefühl, als er wieder zurück in sein Zimmer
kehrte. Er hatte keine Lust mehr auf die Situation mit Iggy. Er
wollte, dass sie sich wieder verstehen. Die Stimmung war immer sehr
gedrückt und meist gingen sie sich aus dem Weg, sofern das möglich
war.
Nach
dem Unterricht mit Marina beschloss er, noch einmal die Aussprache
mit Iggy zu suchen. In der kurzen Zeit, in der er die Schule
besuchte, war der Rotschopf zu seinem besten Freund geworden. Er war
froh, jemanden gefunden zu haben, mit dem er sich gut verstand. Und
dieser Streit trübte ihr Verhältnis gewaltig. Das wollte er nicht
mehr. Er nahm allen Mut zusammen und betrat ihr gemeinsames Zimmer,
in dem Iggy an seinem Schreibtisch vor dem Laptop saß.
Langsam
schloss Robin die Tür hinter sich und blieb kurz davor stehen. Für
einen kurzen Augenblick dachte er sich, doch einen Rückzieher zu
machen und ein Gespräch mit seinem Mitbewohner zu vermeiden. Doch
schließlich sprach er ihn doch an:
„Hey
Iggy.“ Der sommersprossige Schüler schaute vom Laptop hoch. Sein
Gesichtsausdruck war ernst. Robin fuhrt fort. „Meinst du nicht, wir
sollten noch mal miteinander sprechen.“
„Ich
glaube, da gibt es nichts zu besprechen. Du hast deine Meinung über
Skye und daran lässt sich nichts ändern.“
„Da
magst du recht haben. Aber sollen wir uns deshalb streiten? Es tut
mir schrecklich leid, dass ich dich so angegriffen habe. Lass uns den
Streit bitte beiseite legen.“
Für
einen Moment schwieg der Feuer-Elementarist. Er schien über das
Angebot nachzudenken, bis er schließlich antwortete:
„Also
gut. Ich will auch nicht streiten. Lass uns Frieden schließen und
die Sache vergessen.“
„Danke“,
freute sich der Sechzehnjährige. „Ich hasste diese komische
Situation zwischen uns. Viel lieber bin ich mit dir befreundet.“
„So
geht es mir doch auch“, gab Iggy zurück, erhob sich von seinem
Stuhl, um seinem Mitbewohner die Hand zu reichen.
Robin
schlug ein und fügte mit einem schelmischen Grinsen hinzu:
„Ich
hab’ dich lieb!“
„Sehr
witzig“, gab der Rotschopf gespielt beleidigt zurück. „Du bist
so ein Witzbold!“
Da
fing der blonde Schüler zu lachen an und kurz darauf stieg Iggy mit
ein. Endlich war wieder alles beim Alten. Beide waren darüber sehr
erleichtert und froh.