Anschließend
hatte er Naturwissenschaft bei seiner Tutorin Frau Funke. Sie begann
ein biologisches Thema, wies aber darauf hin, dass sie die drei
Themenbereiche Chemie, Physik und Biologie nicht so stark trennen
würde, sondern einzelne Gebiete ganzheitlich betrachten wollte. Der
Junge war sehr gespannt, wie sich das entwickeln würde.
Nach
der Mittagspause war es aber an der Zeit einen weiteren neuen Lehrer
kennenzulernen. Nun stand der Sportunterricht bei Herrn Hawkins an.
Die Jungs zogen sich in der Jungenumkleide um, während die Mädchen
ihrerseits ihre Sportklamotten in der Mädchenumkleide anzogen.
Als
sie die Sporthalle, die sich im Übrigen hinter dem Schulkomplex
befand, betraten, stand da bereits ein recht junger Mann. Robin war
sehr erstaunt, denn er hätte ihn auch für einen älteren Schüler
halten können. Der Lehrer war groß mit einem durchtrainierten
Körper, hatte kurze braune Haare und ein markantes, aber junges
Gesicht. Seine Augen waren in einem ziemlich hellen Braunton. Er trug
einen hellblauen Jogginganzug, welcher seidig glänzte. Um den Hals
trug er ein Lederband, an dem eine silberne Trillerpfeife hing.
„Der
könnte ein männliches Model sein“, bemerkte Iggy, der neben Robin
stand. „Die Mädels werden ihn sicherlich anschmachten.“
Als
sich die Schüler in eine Reihe aufgestellt hatten, sprach der junge
Sportlehrer los:
„Hallo
alle miteinander. Mein Name ist Skye Hawkins. Ich bin, so wie ihr,
erst ganz frisch an dieser Schule. Am Montag trat ich meine Stelle
hier im Haus 4E an. Mein Schwerpunkt liegt bei dem Element Luft. Aber
ich unterrichte euch auch in Sport, Kunst und Musik.“
Er
erklärte dies mit einer überaus großen Souveränität und
Freundlichkeit, sodass ihm alle gespannt und ruhig zuhörten. Sein
strahlend weißes Lächeln wirkte äußerst charmant und Robin konnte
beobachten, wie die Mädchen um ihn herum lauter Herzchen in den
Augen hatten. Besonders Aria schien den jungen Sportlehrer
anzuschmachten. Nur Marina ließ sich nichts anmerken. Wie immer
wirkte sie zurückhaltend und schüchtern.
„Wie
ihr an meinem Namen hören könnt“, fuhr Hawkins fort, „stamme
ich nicht aus Deutschland. Ich komme aus Schottland, lebe aber
bereits seit fast elf Jahren hier in Frankfurt. Meine Eltern sind
wegen ihrer Arbeit hierher gezogen, als ich fünfzehn Jahre alt war.“
Da
haben wir es!
Nun
wusste jeder, wie alt der Lehrer war. Mit seinen jungen 26 Jahren
gehörte er definitiv nicht zum alten Eisen und würde wahrscheinlich
das Herz jedes anwesenden Mädchens erobern können. Diese hatte er
nun definitiv auf seiner Seite. Robin erkannte eine Taktik dahinter.
Wie
beiläufig er sein Alter erwähnt.
„Wenn
ihr nichts dagegen habt, würde ich gerne per Du mit euch bleiben.
Ich finde, das lockert die Atmosphäre ein wenig auf. Außerdem fühle
ich mich nicht wie jemand, den man siezt. Wer etwas dagegen hat, kann
dies gerne äußern. Dann sieze ich diese Person selbstverständlich.“
Und
noch ein Einschleim-Versuch.
Daraufhin
erklärte Hawkins, dass sie verschiedene Einheiten im Sportunterricht
abhandeln und mit Badminton beginnen würden. Zuallererst ließ er
die Schüler ein paar Runden in der Halle laufen, damit sie warm
wurden. Anschließend absolvierten sie ein paar Dehnübungen und
stellten danach die Netze auf. Er verteilte schließlich die Schläger
und Federbälle, womit die Schüler gegeneinander spielen konnten.
„Da
es die erste Sportstunde ist, gehen wir es locker an. Ihr dürft
miteinander spielen und nächste Woche schauen wir uns die Regeln
genauer an.“
Robin
spielte natürlich mit Iggy. Da es nicht für jeden ein komplettes
Netz gab, nahmen sie sich eine Hälfte. Neben ihnen spielte der
muskulöse Joris gegen einen anderen Schüler mit dem Element der
Erde. Robin fiel auf, dass das Kraftpaket einen recht harten
Aufschlag hatte und sein Gegenüber ziemliche Probleme damit hatte,
die Bälle anzunehmen. Immer wieder schaute er sich das Spiel ihrer
Feldnachbarn an und konzentrierte sich nicht auf die Aufschläge
seines Mitbewohners.
Joris
bemerkte dies und schlug nun ein paar Bälle auf Robins Seite.
„Was
geht denn hier ab?“, wunderte sich Iggy. „Spielen wir jetzt zu
viert?“
„Können
wir gerne machen“, entgegnete der Muskelprotz.
„Abgemacht“,
stieg Robin darauf ein.
Joris
schlug einen Ball nach dem anderen und wie Blitze stürmten sie auf
Robins Seite. Meist schaffte er es nicht, sich den Federball zu
schnappen.
„Super“,
feuerte Iggy seinen Spielpartner an, ohne zu bemerken, dass er
eigentlich ausgegrenzt wurde und nur Joris alleine gegen die anderen
beiden spielte.
Wenn
ich nur die Bälle annehmen könnte,
dachte sich der Sechzehnjährige, dann
würde er es sicherlich schwer haben, sie erneut zurückzuschlagen.
Er ist zwar kräftig, aber nicht flink genug.
Robin
verlor langsam die Motivation und die Geduld. Er rackerte sich ab und
rannte hin und her, aber meist verfehlte er die blitzschnellen
Schläge seines Gegenübers.
„Mist!“,
ärgerte er sich.
„Bloß
nicht aufgeben“, verspottete das Muskelpaket seinen Gegner.
„Vielleicht triffst du ja mal einen in den nächsten zehn Jahren.“
Bei
diesem Satz ärgerte sich Robin so stark, dass er den Schläger mit
aller Kraft ausholte. Zwar war der Federball so weit entfernt, dass
er ihn mit dem Schläger nicht treffen konnte, aber es entstand ein
so starker Luftzug, dass der Ball trotzdem zurück geweht wurde und
über das Netz auf die Seite des muskulösen Mitschülers flog, wo er
zwischen Joris und Iggy auf dem Boden landete.
Alle
vier Schüler auf dem Platz blieben wie erstarrt stehen und schauten
erschrocken auf den Federball, der auf dem Boden lag. Plötzlich
pfiff der Lehrer mit seiner Trillerpfeife und kam auf die vier
zugerannt.
„Was
soll das?“, meckerte er los. „Hier auf dem Sportfeld sollt ihr
eure Fähigkeiten nicht einsetzen. Ihr sollt fair und sportlich
gegeneinander spielen. Wer war das?“
Joris,
Iggy und der andere Junge zeigten alle gleichzeitig auf Robin, der
noch immer wie erstarrt und mit rotem Kopf dastand.
Skeptisch
blickte der junge Lehrer seinen Schüler an.
„Du?“,
fragte er nach. „Aber dich habe ich doch gar nicht in meiner
Luft-Gruppe.“
Schweigend
starrte Robin seinen Lehrer an. Er war völlig perplex und irritiert.
Mittlerweile schauten ihn alle Schüler in der Sporthalle
erwartungsvoll an.
„Wo
warst du denn am Montag, als wir den Praxisschwerpunkt hatten?“,
hakte Hawkins nun weiter nach.
Als
Robin noch immer nicht antwortete, ergriff Iggy das Wort:
„Skye,
Robin ist dem Element Feuer zugeordnet.“
„Wie
bitte?“, erkundigte sich der Lehrer. „Warum das denn? Er hat hier
gerade das Element Luft eingesetzt, um den Ball über das Netz zu
bekommen.“
„Das
haben wir auch mitbekommen, Skye“, stimmte ihm Iggy zu.
„Warum
ist er dann in der Feuer-Gruppe?“, wollte er nun energischer
wissen. „Nun sag doch was, Robin!“
Der
Sechzehnjährige schluckte, sammelte sich und antwortete schließlich:
„Ich
bin ein Feuer-Elementarist. Ich weiß auch nicht, wie ich das
bewerkstelligt habe.“
„Vielleicht
war es nur Zufall“, mischte sich nun Joris ein. „Vielleicht hat
er einfach zu stark mit dem Schläger gewedelt.“
„Das
kann doch nicht möglich sein“, entgegnete Skye. „Wir machen
einen Versuch. Ich schlage dir den Federball zu und du versuchst ihn
mit deinen Händen umzulenken, ohne dass du ihn berührst.“
Robin
nickte, obwohl er sehr skeptisch war.
Das
kann doch nicht möglich sein.
Der
Lehrer stellte sich dem blonden Jungen gegenüber und schlug den Ball
in seine Richtung. Robin versuchte, sich auf den Ball zu
konzentrieren. Doch als er so auf ihn zukam, passierte nichts und er
fing den Federball einfach mit der Hand auf.
„Also
ist es doch ein Irrtum“, sprach Iggy dazwischen.
„Wir
versuchen es noch einmal“, erklärte der junge Lehrer.
Der
zweite Versuch verlief wie der erste. Nichts Auffälliges war zu
vernehmen. Robin glaubte nun auch selbst nicht mehr, dass er die Luft
kontrolliert hatte.
„Ein
letztes Mal“, setzte Skye an. Er schlug den Ball wieder ganz leicht
auf, sodass er auf Robin zuflog. Diesmal konzentrierte sich Robin
nicht auf den Ball, sondern stellte sich vor, wie ihn ein Windstoß
von der Seite aus der Bahn warf. Und als er das so dachte, passierte
dies auch. Der Federball machte einen Bogen zur Seite und flog wieder
zurück. Er landete im Netz und fiel zu Boden. Wieder war es still in
der Halle und alle starrten irritiert auf den Ball, der am Boden lag.
„Das
ist unglaublich“, sprach der Lehrer schließlich. „Einfach
unglaublich.“
„Was
hat das zu bedeuten?“, wollte Robin nun wissen.
„Wenn
ich mit meiner Vermutung richtig liege, Robin“, antwortete Skye,
„dann kannst du alle vier Elemente beherrschen.“
Eine
entsetztes Raunen ging durch die ganze Halle.
„Geht
das denn?“, hakte der Sechzehnjährige nach.
„Das
ist selten, kommt aber vor“, entgegnete Skye. „Wir sollten gleich
zusammen zu Rektor Quinn gehen und ihm davon berichten. Er wird mit
dir ein paar Tests durchführen und dann wissen wir Näheres
darüber.“
Robin
haute diese Sache völlig aus den Socken. Nun sollte er nicht nur ein
Feuer-Elementarist sein, sondern auch die anderen drei Elemente
beherrschen können. Er war mit dieser Situation völlig überfordert
und bat seinen Lehrer darum, den Rektor erst später aufsuchen zu
dürfen. Er würde zunächst gerne auf sein Zimmer gehen.
Als
er dann alleine in seinem Zimmer war, duschte er sich und betrachtete
sich im Spiegel. Er fühlte sich wieder so wie damals, als er ahnte,
dass er anders war als die anderen. Als er vor ein paar Wochen
bemerkte, dass ihm Feuer nichts ausmachte, vermutete er zunächst,
dass etwas nicht mit ihm stimmte. Nun war er an einer besonderen
Schule, wo er Gleichgesinnte fand, die so waren wie er. Aber nach
drei Tagen stellte sich bereits heraus, dass er sogar anders war als
seine besonderen Mitschüler. Jetzt dachte er erneut daran, dass
etwas eventuell nicht mit ihm stimmte. Und das bereitete ihm
Kopfzerbrechen.
Es
klopfte an der Zimmertür und Robin erwartete Iggy. Doch er war nicht
allein. Er brachte Joris ins Zimmer.
„Mensch,
Kumpel“, setzte der Muskelprotz an, „das ist ja ein starkes
Stück.“
„Und
du hattest das noch nie erahnt?“, wollte Iggy von seinem
Mitbewohner wissen.
Robin
seufzte:
„Ich
wusste bis vor ein paar Wochen noch nicht mal, dass ich überhaupt
ein Elementarist bin, geschweige denn, dass es so etwas überhaupt
gibt.“
„Und
heute kommt heraus, dass du vielleicht alle vier Elemente beherrschen
kannst“, fuhr der breite Kerl fort. „Irgendwie habe ich aber das
Gefühl, dass du nicht so erfreut darüber bist.“
„Erfreut?“,
hakte der Sechzehnjährige nach.
„Also
wenn ich du wäre, würde ich jetzt vor Freude schreien“, ergriff
Iggy das Wort.
„Ich
auch“, stimmte Joris ihm zu. „Aber du scheinst traurig darüber
zu sein.“
„Ich
weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll.“
„Es
tut mir leid“, entschuldigte sich das Muskelpaket. „Irgendwie
fühle ich mich schuldig. Ohne mich wärst du nur ein
Feuer-Elementarist geblieben.“
„Du
bist doch nicht daran Schuld, Joris“, entgegnete ihm der
Sechzehnjährige. „Wahrscheinlich wäre es sowieso irgendwann
herausgekommen.“
„Das
ist wohl wahr“, stimmte ihm Iggy zu.
„Da
bin ich aber beruhigt“, sprach der muskulöse Junge erleichtert.
„Aber tut mir bitte einen Gefallen und nennt mich nicht mehr Joris.
Meine Freunde nennen mich einfach nur Jojo.“
„Okay“,
grinste Iggy. Robin nickte lediglich gedankenverloren. Er wusste,
dass nun ein Gespräch mit Rektor Quinn auf ihn wartete.
Als
er auf dem Weg zum Verwaltungstrakt war, wohin ihn Iggy und Jojo
begleiteten, kamen ihnen bereits Skye und Serafina Funke entgegen.
Die Tutorin lächelte ihren Schützling freundlich an.
„Robin“,
sprach sie, „ich habe gehört, was im Sportunterricht passiert
ist.“
Der
blonde Junge nickte.
„Machen
Sie sich keine Sorgen. Wir werden das genau untersuchen. Leider ist
Rektor Quinn heute Nachmittag außer Haus. Wir haben ihn gerade
telefonisch informiert und er meinte, dass wir das morgen früh
klären. Sie werden morgen um neun Uhr bei ihm erwartet und sind
daher vom Unterricht befreit.“
Robins
Herz fing zu pochen an. Er war aufgeregt, aber nicht im positiven
Sinne. Seine Tutorin spürte wohl seinen Unmut.
„Kopf
hoch, Robin. Alles ist in Ordnung. Ihnen wird nichts passieren. Wenn
Sie tatsächlich alle Elemente beherrschen können, ist es etwas
Großartiges und nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.“
Auch
wenn diese Worte den Sechzehnjährigen aufmuntern sollten, bewirkten
sie eher das Gegenteil bei ihm. Er hatte ein mulmiges Gefühl im
Bauch. Er musste sich erst einmal an den Gedanken gewöhnen. Aber
dafür hatte er ja noch den ganzen Abend und die ganze Nacht Zeit.
Die
Schüler verabschiedeten sich von ihren Lehrern und gingen zurück
auf ihre Zimmer. Dort angekommen, steckte Robin sich seine Kopfhörer
in die Ohren und hörte seine Lieblingsmusik in voller Lautstärke.
Er wollte gerade nur noch abschalten. Dass er die erste Stunde seiner
Gitarren AG verpassen würde, war ihm in diesem Moment völlig egal.
Er wollte nur die Welt um sich herum vergessen und in seine eigene
Welt abtauchen. Er beschloss, erst am nächsten Tag wieder darüber
nachzudenken.