Es
vergingen weitere Tage und sogar schlaflose Nächte. In den Zeitungen
und sogar im Fernsehen berichtete man von dem tragischen Feuer in der
Schule. Nach den Sommerferien konnten die Schüler nicht mehr dorthin
zurückkehren, da sie erst neu aufgebaut werden musste, was
wahrscheinlich einige Jahre in Anspruch nehmen würde. Nur die
Turnhalle blieb verschont, sodass die Sportvereine sie weiterhin
nutzen konnten.
Doch
Robin musste sich nun langsam auf die Suche nach einer neuen Schule
machen, die er nach den Sommerferien besuchen wollte. Die Schulen in
der Umgebung kamen dafür in Frage, sodass er sich deren Websites
anschaute, um mehr über sie zu erfahren. Doch keine schien sein
Interesse wirklich zu erwecken.
Plötzlich
rief ihn seine Mutter:
„Hier
ist ein Brief für dich gekommen, Robin.“
Neugierig
verließ er seinen Schreibtisch und betrat das Wohnzimmer, wo ihm
seine Mutter den Umschlag überreichte.
„Von
wem ist der?“, wollte Robin wissen, doch seine Mutter schüttelte
nur den Kopf und antwortete:
„Ich
weiß es nicht. Da steht was von einem Haus 4E.“
„Haus
4E?“, wiederholte er skeptisch. „Was soll denn das heißen?“
Als
Robin sich den Umschlag anschaute, vergewisserte er sich selbst: Haus
4E stand im Adressfeld. Neugierig öffnete er den Umschlag und
schaute sich den Brief an.
„Nun
sag schon, was steht darin?“, forderte seine Mutter ihn ungeduldig
auf.
„Dieses
Haus ist scheinbar ein Internat. Sie wollen mir ein Stipendium geben,
damit ich nach den Ferien ihre Schule besuche und dort mein Abitur
mache.“
„Wie
bitte?“, hakte sie überrascht nach.
„Hier
steht: Sehr geehrter Herr Held, wir bedauern den tragischen Vorfall
an Ihrer Schule sehr und können uns sehr gut vorstellen, in welcher
Situation Sie nun stecken müssen. Das Haus 4E ist ein Internat für
Schülerinnen und Schüler mit besonderen Begabungen. Da wir von
Ihrer besonderen Begabung erfahren haben, möchten wir Ihnen gerne
ein Stipendium in unserem Haus anbieten. Dies beinhaltet die
komplette Übernahme der Kosten für die Unterkunft,
Unterrichtsmaterialien, die Beschulung sowie die Verpflegung. Falls
Sie daran Interesse haben, laden wir Sie herzlich zu einem
persönlichen Gespräch ein. Bitte teilen Sie uns ihre Entscheidung
telefonisch oder per E-mail mit, damit wir gegebenenfalls einen
Termin vereinbaren können. Mit freundlichen Grüßen Benedikt Quinn
- Rektor.“
„Jetzt
bin ich aber platt“, war die Reaktion seiner Mutter.
„Was
meinst du, wie ich mich gerade fühle?“
„Aber
du musst zugeben, dass das gut klingt. Wo liegt denn diese Schule.“
„Frankfurt
am Main steht hier. Das ist ja nicht gerade um die Ecke. Das muss ich
mir gut überlegen.“
„Das
könnte eine riesige Chance für dich sein. Ich würde das an deiner
Stelle annehmen.“
Robins
Mutter war für ihre Leichtgläubigkeit bekannt. Sie hinterfragte
selten etwas. Glücklicherweise war ihr Sohn misstrauischer. Er fand
diese Sache sehr mysteriös. Woher kennen sie ihn? Warum melden sie
sich ausgerechnet bei ihm? Warum sollte er in ein Internat nach
Frankfurt ziehen?
„Und
welche besondere Begabung meinen sie?“, stieß er skeptisch hervor.
„Vielleicht
meinen sie dein sportliches Talent. Du hattest immer eine Eins im
Sportunterricht und bei den Bundesjugendspielen hattest du überall
die besten Ergebnisse.“
„Meinst
du, das ist es?“ Er war nicht überzeugt. „Ich bin schließlich
in keinem Sportverein.“
„Vielleicht
meinen sie aber auch deine Musikalität. Du spielst doch Gitarre“,
fügte seine Mutter hinzu.
„Ja,
aber doch eher amateurhaft. Ich bin kein Jimmy Hendrix. Da gibt es
viel bessere als mich.“
„Dann
weiß ich auch nicht“, gab sie resigniert auf.
Robin
hatte eine Idee. Dieses Internat hatte doch bestimmt eine Website. Da
müsste doch etwas Genaueres stehen. Vielleicht würde er da
herausbekommen, welcher besonderen Begabung er ein Stipendium zu
verdanken hatte.
Er
ging zurück in sein Zimmer und setzte sich erneut vor den PC. Dieser
war noch eingeschaltet, sodass er schnell nach dem Internat suchen
konnte. Und tatsächlich fand er auch eine Homepage. Dort konnte er
zunächst einmal auf der Startseite ein Foto des Gebäudes entdecken.
Es war weiß und hatte eine große Vorderfront mit einem Bogentor.
Nirgendwo war ein Schild, das den Namen des Internats verriet. Von
außen sah es lediglich wie ein großer Komplex mit vielen Räumen
aus. Als er das Bild anklickte, erschien ein Informationstext. Diesem
konnte er aber nicht viel entnehmen. Da stand lediglich, dass es sich
um ein Internat handelte, welches besondere Begabungen von Schülern
förderte. Das Internat existierte seit 1957 und wurde von Rektor
Benedikt Quinn geleitet. Bis auf ein Impressum mit den Kontaktdaten
gab es nichts Weiteres auf der Website zu erfahren.
Sehr
verwunderlich,
dachte sich Robin.
Normalerweise
gab es viel mehr auf den Seiten von Schulen zu sehen. Seine letzte
Schule, die jetzt leider in Trümmern lag, strotzte nur von
Informationen über sich: Von der Gründungsgeschichte über das
pädagogische Konzept bis hin zu Fotos von den Klassen und anderen
Events bot sie alles, was interessierte Eltern ansprechen könnte.
Doch dieses Internat blieb ein völliges Mysterium.
Schließlich
beschloss er die angegebene Nummer einmal anzuwählen und den Rektor
persönlich zu fragen. Wenn er ihm keine konkreten Auskünfte geben
würde, interessierte ihn das Internat nicht mehr. Schließlich
wollte er nicht bei irgendeiner extremen Sekte landen.
Nach
einem kurzen Ertönen des Freizeichens meldete sich eine raue, ältere
Stimme eines Mannes:
„Haus
4E, Rektor Quinn am Apparat?“
„Guten
Tag“, entgegnete Robin auf die Begrüßung, „mein Name ist Robin
Held. Ich habe einen Brief von Ihnen erhalten.“
„Ach
ja!“, rief der ältere Mann am anderen Ende freudig aus. „Guten
Tag, Herr Held. Schön von Ihnen zu hören.“
„Vielen
Dank, Herr Quinn. Ich melde mich, um nähere Informationen von Ihnen
zu erhalten. Auf Ihrer Homepage konnte ich leider nicht viel
erfahren.“
„Sie
sind skeptisch“, kam es sofort aus Quinn heraus. „Das kann ich
verstehen.“
Der
Sechzehnjährige war aufgrund seiner Offenheit sehr überrascht und
wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Nach einigen Sekunden
des Schweigens fuhr der Rektor des Internats fort:
„Sie
haben eine besondere Begabung, über die ich gerne mit Ihnen sprechen
würde. Allerdings möchte ich dies nicht am Telefon tun. Deshalb
bitte ich Sie um ihr Verständnis und lade Sie hierher ein. Dann
können wir über alles sprechen.“
„Es
tut mir leid, Herr Quinn“, sprach Robin nun, der sich wieder
einigermaßen gesammelt hatte, „aber Sie sprechen in Rätseln. Das
klingt alles sehr seltsam. Daher weiß ich nicht, ob ich den weiten
Weg in Kauf nehmen kann.“
„Ich
verstehe Ihr Misstrauen, Herr Held. Aber die Angelegenheit ist, so
möchte ich sagen, zu heiß,
um sie am Telefon zu besprechen.“
Was
meint er damit?
Robin
wusste nichts mit seiner Aussage anzufangen. Warum sprach er so
kryptisch? Und was meinte er mit zu heiß?
War die Sache zu heiß,
um sie am Telefon zu besprechen? Aber warum war sie zu heiß?
„Ich
verstehe nicht ganz“, fuhr Robin nun fort. „Warum sollte das zu
heiß sein, um es jetzt hier am Telefon zu klären?“
Langsam
wurde er ungeduldig und wollte am liebsten auflegen.
„Nicht
einfach heiß,
Herr Held, sondern brennend
heiß,
wenn Sie verstehen, was ich meine. Obwohl Sie sich wahrscheinlich
nicht verbrennen würden, nicht wahr?“
Plötzlich
fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Der alte Mann sprach also von
dieser
Begabung. Erschrocken legte Robin schnell auf und legte das Telefon
beiseite. Er war völlig außer sich und wusste nicht, was er denken
sollte.
Woher
weiß er davon?
Quinn
wusste anscheinend davon, dass ihm Feuer nichts antun konnte. Sein
Hinweis bezog sich darauf, dass er sich nicht verbrennen konnte, weil
ihm Feuer nichts ausmachte. Und dies bezeichnete der Rektor als
Begabung.
Starr
blickte Robin auf seinen Bildschirm, auf dem noch immer die Homepage
des Internats geöffnet war. „Wir fördern besondere Begabungen
unserer Schülerinnen und Schüler.“ Das war also damit gemeint. Er
war wohl nicht der einzige Mensch auf der Welt, dem Feuer nichts
anhaben konnte. Nicht nur er war jemand, der nicht verbrennen konnte.
Es gab da wohl noch mehr und diese besuchten dieses Internat in
Frankfurt. Daher hatte er eine Einladung erhalten.
Als
er dies begriff, wählte er erneut die Nummer des Rektors und als
dieser abhob, entschuldigte sich Robin als allererstes:
„Ich
wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Aber ich glaube, ich
verstehe es jetzt.“
„Keine
Sorge, Herr Quinn“, gab der ältere Herr freundlich zurück, „Sie
sind nicht der erste, der auf diese Weise reagiert. So was ist ja
nichts Alltägliches. Also ich würde mich freuen, wenn Sie uns einen
Besuch abstatten würden. Die Anfahrtskosten übernehmen wir
selbstverständlich. Alles Weitere klären wir dann hier vor Ort,
wenn Sie einverstanden sind.“
Und
Robin war einverstanden. Er war neugierig geworden und wollte dieses
Internat unbedingt kennenlernen. Daher vereinbarte er einen Termin
mit dem Rektor, welcher noch in den Sommerferien lag. Seinen Eltern
erzählte er allerdings, dass es sich bei dem Internat tatsächlich
um eine Schule handelte, die sportlich begabte Schülerinnen und
Schüler förderte. Dies freute seine Eltern und so erlaubten sie
eine kleine Reise nach Frankfurt. Voller Vorfreude erwartete er nun
diesen Tag.