Autorinnen und Autoren denken sich in ihren Büchern stets tolle Geschichten aus, die Leserinnen und Leser begeistern und unterhalten. Doch was wären die vielen Geschichten ohne ihre Protagonisten? Daher ist es wichtig, gute Charaktere zu entwickeln. Wie machen das die Autorinnen und Autoren? Ich habe mal ein paar Schriftsteller dazu befragt und hier sind ihre Antworten.
Carin Müller (u.a. "Gefühlte Wahrheit):
"Bei der Figurenentwicklung habe ich kein festes
System. Es gibt welche, die ich mir für die Geschichte passend
konstruiere - wie beispielsweise den etwas sperrigen Henri aus "Gefühlte
Wahrheit". Da durfte der männliche Protagonist nicht zu glatt und
unkompliziert sein, sondern brauchte einen schwierigen Background. Wenn
man solchen Figuren ein schlüssiges Korsett aus Hintergrundgeschichte,
Charaktereigenschaften und Optik verpasst, ergeben sich dann manche
Handlungsstränge ganz von allein.
Komplizierter wird es mit
Figuren, die völlig fertig einfach auftauchen. Beispiel Selma aus
"Gefühlte Wahrheit". Die war komplett und ausgereift in meinem Kopf -
inklusive Namen - und hat die Geschichte aktiv beeinflusst. Das Meiste
habe ich also an ihr entlang geschrieben.
Ganz schwierig sind die
Fälle, wenn eine Figur, die ich weder geplant hatte noch wirklich
brauchen kann aus dem Nichts erscheint und vehement mitspielen will. So
ist es mir in "Gefühlte Wahrheit" mit Gorilla gegangen. Wer kam, blieb
und wurde zum absoluten Leserliebling."
Petra Bethe (u.a. Custodias Blut):

"Wie
entwickle ich meine Figuren- oder auch: wer entwickelt wen?
Es ist tatsächlich eine schwierige Frage, woher die Figuren in meinen
Geschichten stammen. Teilweise sind sie Personen aus meinem Leben, die
ich mehr oder weniger leicht verändert habe, damit sie in die von mir
ausgedachte Geschichte passen. Danny aus „Plattenbaugefühle“ ist eine
Figur, die ich aus zwei echten Klienten aus der pädagogischen Arbeit
zusammengebastelt habe, die in der Realität sogar beste Freunde waren.
Jonas, die Hauptfigur, hingegen, ist so, wie ich mir meinen ersten
Freund damals vorstellte – damals, als ich meine eigene Sexualität
entdeckte. Paul, der eine kleine Rolle in „Plattenbaugefühle“ hatte, und
rein fiktiv war (oder vielleicht auch ein Junge, den ich auf der Straße
gesehen habe, unbewusst), bekam plötzlich die zweite Hauptrolle in der
Fortsetzung „Großstadtgefühle“ – seine Rolle wurde größer und größer.
Wie das passieren konnte? Ich weiß es nicht. Da ich nur sehr skizzenhaft
plotte und sehr intuitiv schreibe, entwickeln sich die Figuren manchmal
wie von selbst, wollen mehr Aufmerksamkeit, mehr Gehör finden. Und
manchmal schaffen sie das auch. Es kann sogar vorkommen, dass die
Figuren ursprünglich böse angelegt waren und dann am Ende zu den Guten
gehören. Alles schon passiert!"